Zahlen ohne Widerrede
Streifzüge 30/2004
2000 Zeichen abwärts
von Franz Schandl
Wer mit Protesten rechnete, hat falsch gerechnet“, schreibt Regina General in ihrem Artikel über die Gesundheitsreform made in Germany. „Der Flur war ruhig. Vorschnell folgere ich: Kaum Betrieb, Kranke meiden den Arztbesuch. Aber ich hatte den verkehrten Gang erwischt und finde schließlich das Wartezimmer, wie es mir die Patienten dieser Ostberliner Augenarztpraxis immer beschrieben haben – voll gestopftKlag- und kommentarlos reichen die Damen und Herren jeden Alters ihre Versicherungskarte über den Tresen und den geforderten Zehn-Euro-Schein dazu. Passend. Was gar nicht nötig gewesen wäre. Dutzende Patienten vor ihnen haben für Wechselgeld gesorgt. Die Schwester freut sich: Keine Frage, keine Bemerkung. Man ist geduldig und zahlt. , Ich hatte damit gerechnet, dass uns der Unmut der Leute trifft‘, sagt sie. Weit gefehlt. Das Geschäft läuft schweigend.“ (Freitag 3/04) Je mehr Arbeit und Geld verfallen, die öffentlichen Kassen sich leeren, desto eifriger ist man von Seiten der Politik bemüht, dieses und jenes zu monetarisieren. Möglich ist das freilich nur, indem man den so genannten Kunden in die Taschen greift, Leistungen abbaut oder nur noch gegen Kostenersatz anbietet. Das mag das eine oder andere Loch stopfen, aber es wird anderswo Löcher aufreißen. Jene, die sich die neuen Verhältnisse nicht leisten können, werden auf der Strecke bleiben. Das ist auch marktgerecht: Ein Armer, der früher verstirbt, ist billiger, als wenn man ihn auf öffentliche Kosten hegt und pflegt. Alle wissen und spüren, dass es so nicht weitergeht, aber alle verhalten sich so, als ob es unbedingt so weitergehen müsste. An Alternativen will niemand recht glauben. Nein, da haben wir uns schon zu oft die Finger verbrannt. Irgendwie wird es schon gehen. So ungefähr könnte man Lage und Stimmung beschreiben. Positiv denken heißt, das eigene Schicksal nicht einmal mehr beklagen zu können.