Unumgänglich

Streifzüge 30/2004

von Franz Schandl

Wir wollen beides sein, umgänglich in der Form und unumgänglich im Inhalt. Eins soll um uns nicht herumkommen, aber eins soll uns auch bekömmlich finden. Kurzum, das Publikum soll was haben von uns. Die Streifzüge erscheinen erstmals mit neuem Konzept in neuem Gewand. Magazin wollen wir werden und größer. Die neuen Streifzüge, ab jetzt mit fortlaufender Nummer, daher die Zahl 30 (ja, so viele Ausgaben gibt es schon! ), sollen ansprechender sein, mehr Einstiegsmöglichkeiten bieten, Zugänge öffnen, um auch die schwierige Kost, die es nach wie vor geben wird, leichter runterzubringen und zu verdauen. Kleine Appetitanreger sollen als Fluchtpunkt dienen auf den schier endlosen Seiten, die nicht aufhören wollen, die aber doch um Bewältigung bitten.

Was die relevanten Diskussionen und Entwürfe, insbesondere aber die emanzipatorischen Perspektiven betrifft, sind die entscheidenden Beiträge hier zu finden, in den Streifzügen. Das mag etwas überzogen klingen, aber nur wenig. Wir meinen es schon so: „Es gibt keine Landstraße für die Wissenschaft, und nur diejenigen haben Aussicht, ihre lichten Höhen zu erreichen, die die Mühe nicht scheuen, ihre steilen Pfade zu erklimmen“, heißt es im Vorwort zur französischen Ausgabe des „Kapitals“. Darin versuchen wir uns. Manchmal scheitern wir, manchmal werden wir gescheiter.

Wer es gern seicht hat oder sich öden Debatten hingeben will, der ist anderswo besser bedient. Dem empfehlen wir z. B. die Kommentar- und Sonderseiten des liberalen Standard, wo etwa Konrad Paul Liessmann oder Robert Menasse sich als Großintellektuelle inszenieren dürfen. Letzterer singt, ganz befangen im Universum von Aufklärung und Arbeit, Poppersche Hohelieder auf Demokratie und Zivilisation. Am 29. November 2003 druckte das Blatt die Strophen zum „freien Individuum“. Selten wurde Freiheit für so bare Münze genommen wie bei Menasse: „Solange einer, der , Ich‘ sagt, auch Entscheidungen treffen kann, solange hat er nicht , Schicksal‘, sondern einfach Leben…“ „Schicksal, das ist unerheblich (sic! ), solange freie Entscheidungen nicht mit dem Freiheitsentzug, aufrechter Gang nicht mit Beugehaft, Lebensvorstellungen nicht mit dem Tod bestraft werden. Die Gefahr aber, durch eine Entscheidung Einkommen, Ansehen und Einfluss einzubüßen, macht das, was man glaubt tun zu müssen, um Einfluss, Einkommen und Ansehen zu erhalten, nicht schicksalshaft.“

Das „Ich“ wird hier einfach als Tatsächlichkeit vorausgesetzt, nicht als unterdrückte Möglichkeit. Natürlich, niemand darf sich auf die Verhältnisse rausreden, aber auch niemand hat diese Verhältnisse einfach wegzuzaubern, als sei die Gesellschaft die Folge freier Entscheidungen von freien Individuen. Nicht gegen das „Ich“ sprechen wir uns aus, wohl aber dagegen, dass da jemand behauptet, es gäbe dieses schon, es müsste sich einfach nur instand setzen. Die Streifzüge gibt es, nicht weil wir an die Freiheit glauben, sondern weil wir die Befreiung wollen.

Zweifellos, man muss sich gegen das Schicksal wehren, aber man darf nicht so tun, als sei eins da nicht Zwängen und Pflichten ausgeliefert, die die Subjekte permanent zur Kapitulation drängen. „Draußen ist Markt und wir machen nicht mit“, so einfach geht das nicht. Aber daran denkt Menasse sowieso nicht, denn der Markt ist sakrosankt und kommt in seinen Überlegungen nicht vor, höchstens als unhinterfragte Bedingung des „einfachen Lebens“.

Weil wir mit Menasse gegen die „abgeklärte Unterwerfung unter die Systemlogik“ sind, sind wir auch ganz entschieden gegen seine aufgeklärte Unterwerfung des Geistes unter die affirmativen Werte des Werts, sprich: bürgerliche Zivilisation. Unser Romancier hat nichts im Angebot außer die Schlager von gestern. Das ist nicht nur unerträglich, es ist auch unerträglich fad.

Robert Menasse demonstriert völlige Befangenheit im demokratischen Horizont. In der Serie „Die Welt, in der wir leben“ formuliert er als seinen Zukunftswunsch folgende wegweisende Gedanken: „Die schrittweise politische Herstellung globaler ausgleichender Gerechtigkeit wird , nationale Priorität'“, selbstverständlich werden „Umverteilung, soziale Gerechtigkeit, Vollbeschäftigung und sogar Grundsicherung zu selbstverständlichen Parametern der Politik“. (Der Standard, 17. Jänner 2004) Selbstverständlich? Selbstverständlich! Unser Autor lässt nichts aus, keinen Kalauer, keinen Slogan, kein Motto. Nichts, aber auch gar nichts, ist ihm abgeschmackt genug, um nicht in seinem Essay aufpoliert zu werden. Robert Menasse ist geradezu ein Musterbeispiel konventionellen Denkens, das sich aber trotzdem als originell, ja sogar als tief und kritisch missversteht wie auch so verstanden wird. Für solch Unverständnis fehlt uns jedes Verständnis.

Vielleicht sollte sich der Denker mal fragen, was „einfach Leben“ oder auch „einfaches Leben“ ist? Was es denn ausmacht und prägt. Darüber ist ja in den Streifzügen gar vieles nachzulesen. Langeweile ist jedenfalls eine Kunst, die wir verlernt haben wollen. Und wenn eins jetzt einwendet, man solle die Streifzüge nicht mit dem Standard oder Menasse vergleichen, dann sagen wir: Genau so ist es andersrum auch gemeint.

Ansonsten wie immer: Unterstützung ist stets willkommen. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Leute mit rotem Punkt am Adressen- Etikett bitten wir ihr fälliges Abo einzuzahlen oder, falls es sich um Probenummern handelt, dem analogen Wunsch unsererseits Rechnung zu tragen. Der Stand der bezahlten Abos für 2004 liegt mit 1. März bei 184 Stück. Das ist um einiges mehr als zum Vergleichstermin des letzten Jahres (124 Stück). Das ist eine Steigerung um satte 48,39 Prozent. Emanzipatorisch sowieso, aber auch betriebswirtschaftlich gesprochen, sind wir ein Wachstumsprojekt. Und bitten um Investitionen.