Die Post geht ab
von Franz Schandl
So oder so, die Post wird abgehen. Dass eine Welle der Schließungen von Postämtern bevorsteht, ist ausgemachte Sache. Fraglich ist bloß, wie man es dem Publikum servieren soll, damit es diese Entwicklung ohne größere Aufregung hinnimmt. Bevor sich also die jeweiligen Fachleute äußern und erklären, warum es ökonomisch geboten ist, die Standorte zuzusperren (die sich durchsetzende Gruppe) bzw. die anderen, warum es wirtschaftlich unsinnig ist, dasselbe zu tun (der verlorene Posten), möchte ich schon mal vorab gesagt haben, dass es sich dabei lediglich um zwei verschieden Konfessionen des Marktes handelt, der, und nichts gilt heute als selbstverständlicher, für beide Seiten sakrosankt ist.
Was sich nicht rechnet, hat sich erledigt, auch wenn es weiter nötig wäre. Nach den Wirtshäusern und Lebensmittelläden, Molkereien und öffentlichen Verkehrsverbindungen sind nun eben die Postämter dran. Weg damit! Der Markt schafft an und er schafft auch ab. Nach Belieben, egal, was die Betroffenen empfinden oder erleiden. Das sind ökonomisch nur relevante Größen, wenn sie wiederum verwertbar sind, d. h. geschäftsträchtig gemacht werden können. Wo der Profit stets vor dem Menschen geht, die Verwertung vor der Unschätzbarkeit der Individuen, kann es gar nicht anders sein. Wo das Kapital herrscht, ist der Mensch klein.
An vielen ländlichen Standorten kann man heute weder einkehren noch einkaufen. Zur Arbeit fährt man längst in die Städte, oft viele viele Kilometer. Einige wenige schleppen in den Dörfern ihre oftmals schwer defizitären Geschäfte und Gaststätten noch bis in den Ruhestand, auch wenn sie schon lang nicht mehr konkurrenzfähig sind, sei’s mit dem Supermarkt, sei’s mit der Fast-food-Kette.
Dagegen ist Widerstand angesagt. Und er formiert sich auch. Das Schlimme ist nur, dass der Widerstand immer wieder meint, er könnte das Rad der Geschichte zurückdrehen, Entwicklung ungeschehen machen, anstatt von den neuesten Gegebenheiten aus sich Perspektiven zu überlegen. Winzige Erfolge, die meist nichts anderes als Verzögerungen darstellen, werden wie große Siege gefeiert. Geradezu krampfhaft klammert man sich an die Marktwirtschaft, sucht Heil im kleinen Kapital gegen das große und erliegt des Öfteren unerträglichen Verschwörungstheorien. Anstatt Strukturen zu begreifen und anzuprangern, ist man auf der Suche nach Feinden.
Das Grundproblem ist: Solidarität dimensioniert sich nicht über die stoffliche Basis (z. B. : Ja zur Nahversorgung; Ja zum Umtrunk, ohne mit dem Auto fahren zu müssen etc. -), sondern sie kapriziert sich auf eine formale Einrichtung, das Kleingewerbe. Die allermeisten Leute können sich den Inhalt nur in einer bestimmten Form vorstellen, ignorierend, dass gerade die kapitalistische Form diesen sinnvollen Inhalt zerstört. Es ist schon tückisch: Obzwar die Form den Inhalt frisst, schreien die Opfer nach des Inhalts alter Form. Viele Betroffene vermögen die materielle Notwendigkeit lediglich als kapitalistische Wirklichkeit zu denken. Das ist naheliegend wie grundfalsch. Wer sich gegen die Abschaffung der Postämter wehrt, aber gleichzeitig nicht für die Abschaffung des Kapitalismus ausspricht, ist ein Idiot des Marktes. Aber das sind wir doch schließlich alle. Was soll man sich auch sonst noch vorstellen dürfen? Oder?
Leicht veränderter Nachdruck aus: Ernst Lohoff u. a. (Hg. ), Dead men working. Gebrauchsanweisungen zur Arbeits- und Sozialkritik in Zeiten kapitalistischen Amoklaufs, Unrast-Verlag, Münster 2004.