Die Nestbeschmutzerin
von Franz Schandl
Die Verleihung des Nobelpreises an Elfriede Jelinek wird dazu führen, dass die große Leiderin auf einmal alle leiden können. In Österreich ist sie nun verurteilt zur Staatsdichterin.
„Wenn Peymann nächstes Jahr, gottlob / die Burg verlässt, sein Biotop, / das er erfüllt mit Sumpfes Fäule, / dann braucht es wohl noch eine Weile, / bis dass die Bretter wieder blank / und sich verzogen der Gestank / des wahrlich penetranten Drecks / der Mühls, Turrinis, Jelineks“, schrieb der Hofdichter der „Kronen Zeitung“, Wolf Martin, im Februar 1998. Nun stinkt es also noch mehr, seit vorgestern bekannt wurde, dass Elfriede Jelinek, mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde.
Sie ist eine Nestbeschmutzerin, auf jeden Fall. Wenige führen das schmutzige Nest so gekonnt vor wie Jelinek. Sie bringt auf den Punkt, was man nicht spüren und fühlen, sehen und hören will. Bei ihr muss man es sogar lesen. Obwohl: man muss nicht und tut es auch nicht. Ihre Bücher werden zwar unmittelbar reißenden Absatz finden, aber mehr im Regal stehen als zur Hand genommen werden.
Natürlich wird jetzt etwas die Autorin (im wahrsten Sinne des Worte) heimsuchen und heimholen, was ihr auch sonst passiert wäre, nur eben später: sie ist verurteilt zur Dichterin des Staates. Dass sie ihn ablehnt, ist diesem ganz gleichgültig. Mit solchen Kleinigkeiten gibt er sich nicht ab. Dieser Verstaatlichung geistiger Schätze ist im bürgerlichen Nationalstaat nicht zu entgehen. Nestbeschmutzung ist mitunter geradezu die Voraussetzung, in der Nationalgalerie einen oberen Platz zugewiesen zu bekommen.
„Österreich ist stolz auf dich“, lautet die allgemeine Botschaft oder, wie es die Grazer Ausgabe der Kronen Zeitung auf den Punkt bringt: „Nobelpreis für Obersteirerin“. Mürzzuschlag (wo Jelinek geboren ist) lässt grüßen, wahrscheinlich wird sie bald sogar Ehrenbürgerin werden müssen. Eine ganze Region wird nachdenken, wie man die Elfriede vermarktet. Ob sie will oder nicht, ist sie nun ein Markenprodukt, ein Standortfaktor, der sich rechnet. Auch oder gerade für die, gegen die sie anschreibt. So wird man sie feiern gleich Hermann Maier, vom Kanzler abwärts werden sie sich anstellen und gratulieren: Schreibt halt viel Blödsinn, werden sie sich denken, ist aber eine Österreicherin, werden sie sagen: Sie gehört zu uns, auch wenn sie sich ungehörig benimmt.
Wenn man bedenkt, wer aller schon den Literaturnobelpreis bekommen hat, dann ist diese Wahl zweifellos eine ausgezeichnete. Elfriede Jelinek ist eine große Schriftstellerin, auch wenn sie angestrengt und mühsam wirken mag. Das Leiden an dieser Gesellschaft trägt sie offensiv nach außen. Es ist ihr manchmal direkt ins Gesicht geschrieben. Ihr Schreiben mag oft scheitern, aber es scheitert auf hohem Niveau, weil es sich an und auch über die Grenzen der sprachlichen Konventionalität wagt, weil sie nicht Halt macht, sich ihren Herausforderungen inhaltlich, aber vor allem auch formal stellt.
Elfriede Jelinek tut weh. Etwa ihr Roman „Lust“ (1989), wo man (und wahrscheinlich wirklich in erster Linie Mann) sich denkt: Hört denn diese sexuelle Quälerei nie auf! Diese Schriftstellerin ist ungeeignet, in Ruhe gelesen zu werden, sie versetzt in eine schwer aushaltbare Unruhe. Mit Unterhaltung hat ihr Schriftgut nichts, aber auch schon gar nichts zu tun. Da ist sie meilenweit entfernt. Sie kommt den Lesern nicht entgegen, sie schenkt ihnen nichts, aber verlangt von ihnen alles. Solche Leute verstören, daher ist es am besten sie für etwas gestört zu erklären. Was der Jelinek sowieso andauernd passiert.
Als Autorin dringt sie ein in die Verheerungen des bürgerlichen Alltags, benennt, was nicht benannt wird, erkennt, was nicht erkannt wird. Dort, wo Schweigen ist und Verdrängung, spricht sie. Sie erleidet ihre Texte, und ihr Publikum leidet mit. Und sie ist nicht immer durchhaltbar, diese Leiderei, etwa im 600-Seiten-Roman „Die Kinder der Toten“ (1995), wo die Autorin selbst die willigen Rezipienten durch ihren barock ausufernden Wortspielschwall regelrecht in die Kapitulation treibt. Freilich ist ihr dann im „Sportstück“ (1998) gelungen, was ihr im Roman versagt blieb.
Da ist auf jeden Fall nichts mit positivem Denken. Ja, wenn es eine starke Dosis literarisches Gegengift gegen diese grassierende Gehrirnerweichung gibt, dann die Jelinek. In einer Zeit, in der man nicht leiden darf, obwohl man leidet, beschreibt die Schriftstellerin dieses Leiden ganz präzis, ausführlich und unnachgiebig, und zwar in negativer Abgrenzung, in Abscheu vor dem, was den Menschen angetan wird und somit auch, was sie sich antun. Sie kultiviert das Leiden nicht, sie kritisiert es, aber sie kritisiert es von einem hoffnungslosen Standpunkt aus. Sie verweigert – anders als andere kritische Autoren – ein befreiendes Lachen, sie macht sich, obwohl ironisch, nicht lustig über das Unlustige.
Somit erscheint ihr Werk beklemmend wie unerbittlich. Befreiung, wenn überhaupt, ist ihr nur noch in der Sprache oder der Kunst möglich. Über den freien Willen des bürgerlichen Subjekts urteilt sie, die nicht nur ihren Hegel gut gelesen hat: „Der Wille ist eben kein Besitz, er ist Motor. Er wird stark, was er werden muss, dadurch, dass man kämpft. Du musst es jeden Tag der Maschine abringen.“ (Wolken. Heim. ; 1990). Freiheit wird hier entlarvt als der aufgeherrschte gesellschaftliche Trieb der Konkurrenz.
Abschließend bleibt allerdings anzumerken, dass sie als Dichterin mehr erkennt als sie als Mensch begreift. Vor allem das Niveau ihrer politischen Äußerungen ist oft weit unter dem ihres schriftstellerischen Werkes angesiedelt. In öffentlichen Stellungnahmen wirkt sie verstört, naiv und verkrampft, vor allem aber überfordert. Ihre sprachliche Brillanz ist keine des Geistesblitzes, sondern Ausdruck mühevoller Tätigkeit. Es sprudelt nicht aus ihr heraus, sie ringt es sich ab.
Spontaneität ist ihr fremd, ja oft hat man das Gefühl, als sei sie den kulturindustriellen Agenturen hilflos ausgeliefert. Es ist kein Wunder, dass sie sich vor öffentlichen Auftritten scheut. Nicht selten sind sie auch wirklich peinlich, etwa als sie betreffend ihre langjährige Mitgliedschaft in der KPÖ (1974-1991) gegenüber einem Zeitgeistmagazin folgendes äußerte: „Mit einem Schlag wird mir klar, dass ich von der KPÖ aufs übelste getäuscht und als nützlicher Idiot missbraucht wurde.“ Welche Wortwahl! Die Enttäuschte blendet hier geradezu sich selbst als Akteur aus, will keine Selbsttäuschung in der Täuschung sehen, sondern projiziert sich die Partei als Täter und stilisiert sich selbst zum armen Opfer. Das ist denn doch etwas billig.