Die Krise der Arbeit und ihr Ende
Eine Notiz für die Zeitschrift „Glocalist“
von Andreas Exner
Mit der Entzauberung des Wirtschaftswunders in den siebziger Jahren fand auch die Ära von Vollbeschäftigung und Wohlfahrtsstaat ihr Ende. Die Arbeit ist seither in einer tiefen Krise, und mit ihr das gesamte Leben der modernen Gesellschaft.
Denn sie ist nichts geringeres als der soziale Kitt, der die Marktgesellschaft zusammenhält. Dabei meint „Arbeit“ nicht schlechthin sinnvolle Tätigkeit in ihrer konkreten Vielfalt; so grundverschiedene Tätigkeiten wie Ackern, Zuhören oder Musizieren als ein und dasselbe, nämlich „Arbeit“, anzusehen, ist genau betrachtet auch reichlich seltsam. „Arbeit“ ist vielmehr abstrakte Verausgabung von Lebensenergie, die dem ebenso abstrakten Selbstzweck der Profitproduktion dient; aus weniger Geld muss immer mehr Geld werden. Solange nur Profit zu machen ist, bleibt der konkrete Arbeitsinhalt, ob Produktion von Tretminen oder Brötchen, letzlich unerheblich. „Hauptsache Arbeit“, meinen selbst die in ihrer Gesundheit gefährdeten Angestellten einer Chemiefabrik. Und das Wirtschaftswachstum steht in jedem Fall über allen ökologischen oder sozialen Bedenken, wegen der Arbeitsplätze. Andererseits werden auf diese Weise viele notwendige Tätigkeiten nicht oder nur unzureichend erledigt: weil sie keinen Profit bringen, nicht aus profitablen Wirtschaftsbereichen finanziert werden können, oder sich der Logik von Geld und Effizienz – wie beispielsweise die elterliche Kinderbetreuung – schlicht verweigern. Über das Leben einer Gesellschaft entscheidet unter diesen Bedingungen letztlich der Profit der Unternehmen und die Konkurrenz darum.
Es waren gerade die sinkenden Profite, die am Beginn der siebziger Jahre das sozialdemokratische Wachstumsmodell in Frage stellten. Der Neoliberalismus präsentierte sich in dieser Situation als Lösung, doch der Erfolg blieb aus. Die grundlegende Dynamik einer tiefgehenden Wachstumskrise verschärfte sich mit dem zunehmenden Einsatz der Mikroelektronik in den achziger Jahren sogar noch weiter: durch Rationalisierung wurde mehr Arbeitskraft überflüssig gemacht als die Ausdehnung der Produktion benötigte. Zwar rettete bis jetzt die spekulative Aufblähung der Finanzmärkte das Wachstum der Realproduktion über die Runden. Dieses Spiel kann aber nicht auf Dauer gut gehen. Die fällige Entwertung des nicht mehr rentabel einsetzbaren Kapitals wird kaum ohne großen Krach abgehen. Und ein neuer Wachstumsschub mit Vollbeschäftigung ist unter den gegebenen Bedingungen auch dann nicht zu erwarten.
Die Hoffnung richtet sich in dieser Situation in erster Linie auf den Staat. Der bekommt seine Mittel allerdings aus der Besteuerung von Lohn und Profit. Folglich sind seine Handlungsmöglichkeiten begrenzt, wenn das Wachstum nachläßt und die Arbeitslosigkeit steigt. Für die traditionellen Gewerkschaften gilt Vergleichbares: Mit rückläufiger Arbeitskraftnachfrage verfällt auch ihre Verhandlungsmacht. Und beide stehen unter der Kuratel der Standortsicherung.
Wie selbstverständlich wird davon ausgegangen, dass hier die alten politischen Rezepte helfen. Mehr Wachstum, Arbeit, Geld und Staat, so fordert man. Die ökologischen, ökonomischen und sozialen Grenzen einer Lebensweise, die auf diesen Prinzipien beruht, rücken dagegen nur selten ins Licht. So besehen ist es allerdings hoch an der Zeit, das Leben von den „Sachzwängen“ Profit und Arbeit zu entkoppeln, unser Denken und unser Tun davon zu lösen. Eine erste Möglichkeit, soziale Auseinandersetzungen darüber anzuregen, bietet die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Zentrale Bedeutung gewinnt auch eine Neuorientierung der Gewerkschaften; weg von bloßer Interessensvertretung der Kernbelegschaften, hin zu einer aktiven Wahrnehmung der Problemlagen von Prekarisierten und Arbeitslosen. In einer weiter gehenden Perspektive ist ein gewerkschaftlicher Kampf für eine radikale Arbeitszeitverkürzung nötig. Diese würde das Elend der Massenarbeitslosigkeit in den Reichtum freier Zeit verwandeln und Spielraum für den schrittweisen Aufbau von Kooperationsstrukturen abseits von Profit und Arbeit eröffnen. Dem „Dritten Sektor“ käme dabei eine wichtige Rolle zu. Ganz allgemein gilt es, den sozialen Widerstand gegen die neoliberale Krisenverwaltung mit der Entwicklung eines neuen gesellschaftlichen Leitbilds zu verbinden; theoretisch wie praktisch, auf vielen Ebenen gleichzeitig, und so beherzt wie irgend möglich. Denn die Krise der Arbeit ist kein vorübergehender Makel der globalisierten Marktwirtschaft, sie markiert vielmehr den Beginn ihres Verfalls. Eine Alternative dazu ist möglich und notwendig!