Die im Schatten sieht man nicht
Streifzüge 31/2004
KOLUMNE Dead Men Working
von Ernst Lohoff
Schwarzarbeit und Prekarisierung
Das Finanzministerium lässt der Nation ins Gewissen reden. „Schwarzarbeit koste Milliarden, ein Minijob oft nur ein paar Euro“, mahnt eine streng dreinblickende Lehrerin namens Marlene H. im Auftrag des Fiskus von den Plakatwänden der Bundesrepublik. Aber nicht nur die Regierung bläst derzeit zur moralischen und fahndungstechnischen Offensive gegen „illegale Beschäftigung“; auch die IG-Bau und die Handwerkskammern zeigen sich in dieser Frage ausgesprochen engagiert. Das „Bündnis für Arbeit“ ist längst in sich zusammengebrochen; das Bündnis gegen Schwarzarbeit dagegen steht wie eine Eins.
Durch die Brille der herrschenden neoliberalen Deregulierungs- und Entstaatlichungsdoktrin gesehen scheint ein konzertiertes Vorgehen gegen Schwarzarbeit strenggenommen eigentlich als etwas Aberwitziges. Seit Jahr und Tag jammert man hierzulande über die chronische Wachstumsschwäche des hiesigen Arbeitsmarktes. Warum dann ausgerechnet dem einzig boomenden Beschäftigungssegment, das mittlerweile nach Expertenschätzungen 17 Prozent des Bruttosozialprodukts generiert, den Kampf ansagen? Auf Schritt und Tritt beweist Schwarzarbeit in der Marktkonkurrenz ihre haushohe Überlegenheit gegenüber regulären Beschäftigungsformen. Demonstriert die deutsche Abteilung der Arbeitsgesellschaft mit der Kampagne gegen die erfolgreichste Beschäftigungsform wieder einmal ihre oft beschworene „Zukunftsunfähigkeit“?
Nein! Das marktideologische Protestgeschrei bleibt aus gutem Grund aus. Schon die wichtigste Waffe im Kampf gegen „illegale Beschäftigung“ versöhnt jeden Marktradikalen. Die Abstrafung der Käufer von Schwarzarbeit spielt im Konzept der rot-grünen Regierung nur eine untergeordnete Rolle. Sie versucht vielmehr der illegalen Beschäftigung mit einem für die Käufer der Ware Arbeitskraft höchst erfreulichen Mittel das Wasser abzugraben. Die Vorteile, die Schwarzarbeit ihren potentiellen Anwendern bietet, sollen auf neue legale Arbeitssektoren übertragen werden. Schwarzarbeit, so das zugrunde liegende Kalkül, verliert ihre Attraktivität, sobald auch legale Arbeitskraft, was Kosten und Flexibilität angeht, zu vergleichbaren Konditionen zur Verfügung steht und Minijobs und ähnliche prekäre offizielle Beschäftigungsverhältnisse in Wettbewerb mit der illegalisierten Arbeit treten.
Schwarzarbeit ist so alt wie der Sozialstaat und die Gewohnheit des Fiskus auf Arbeitsleistungen Steuern zu erheben. Schwarzarbeit war und ist für Auftraggeber wie Auftragnehmer gleichermaßen attraktiv, weil sie die ungeliebte Teilhabe des Staates an den Früchten der wirtschaftlichen Aktivität unterläuft. Bei der Schwarzarbeit fallen aber nicht nur für beide beteiligten Seiten brutto und netto zusammen, diese Arbeitsform erlaubt zugleich den Beziehern von Sozialleistungen einem abzugslosen Nebenerwerb nachzugehen. Die Einführung mit der Schwarzarbeit konkurrierender legaler Beschäftigungsformen soll dieses auf die Kosten von Sozialkassen und Fiskus gehende Gentlemen’s Agreement zwischen Arbeitskraftnachfragern und -anbietern sprengen. Der Kampf gegen die Schwarzarbeit ist Teil des Versuchs auch hierzulande den Working Poor wieder erstehen zu lassen.
Schwarzarbeit ist seit jeher ein branchenspezifisches Phänomen. Sie betraf traditionell vornehmlich arbeitsintensive und kundennahe Bereiche wie das Handwerk. In den letzten Jahren hat illegale Beschäftigung nicht nur absolut an Gewicht gewonnen. Ihre Ausdehnung hat sich mit dem Globalisierungs- und Transnationalisierungsprozess verschränkt. Natürlich verzichten noch immer heimische Handwerker und ihre Kunden gerne mal auf eine Rechnung und damit auf die Entrichtung diverser Steuern. In erster Linie leisten aber heute Migranten Schwarzarbeit, Menschen ohne Aufenthaltsstatus oder mit einem, der ihnen die Arbeitsaufnahme offiziell verbietet. Ökonomisch lässt sich diese Entwicklung als die Entsprechung zum vielbeschriebenen Outsourcing-Prozess interpretieren. In sämtlichen Branchen mit transportablen Arbeitsgegenständen findet eine systematische Auslagerung arbeitsintensiver Fertigungsschritte in Billiglohnländer statt. In Bereichen mit immobilen Arbeitsgegenstand (Bau- und Landwirtschaft) bleibt dagegen genauso wie bei Dienstleistungen, die nur vor Ort zu erbringen sind (Reinigungsgewerbe, Gastronomie, Haushalt), allein die umgekehrte Bewegung. Die Transnationalisierung der Produktion und die Nutzung der Lohngefälle vollzieht sich hier nur als Insourcing. Statt dem konstanten Kapital geht das variable auf Reisen und die offizielle Illegalisierung dieser Bewegung garantiert, dass es das erbärmliche Lohnniveau der Herkunftsländer mitbringt.
Der Kampf für die Schaffung prekärer Beschäftigung für Inländer bleibt nicht ohne Wirkung – auch was den Rückgang einiger Schwarzarbeitssegmente angeht. Noch 2002 arbeiteten 98 Prozent aller Haushaltshilfen schwarz; innerhalb eines Jahres hat sich die offizielle Zahl der Mini-Jobs in diesem Bereich auf 70.000 verdreifacht – Tendenz nach wie vor steigend. Von dieser Entwicklung unberührt bleibt freilich die illegale Beschäftigung von Elendsmigranten aus dem Nicht-EU-Raum.
Einen Dumping-Wettbewerb zwischen der völlig rechtlosen Arbeit der Sans Papiers und Arbeitslosen, die wenigstens qua Staatsbürgerschaft einen gewissen Mindestschutz genießen, würde selbst bei vervielfachtem Fahndungsdruck und noch weiter beschleunigtem Sozialabbau erstere allemal „gewinnen“.
Die forcierte Etablierung legaler Formen prekärer Arbeit und das in erster Linie auf der Arbeit Illegaler beruhende Insourcing sorgen auf dem hiesigen Arbeitsmarkt für einen dramatischen Segmentierungsprozess. Noch nie klafften die Verkaufsbedingungen der Ware Arbeitskraft und damit die Lebensverhältnisse der in der Bundesrepublik lebenden Menschen dermaßen weit auseinander wie heute. Die hiesigen Gewerkschaften scheinen sich nur eine Methode vorstellen zu können, um dieser Ausdifferenzierung gegenzusteuern: Sie fordern die entschiedene Bekämpfung der Illegalen. Die von Schwarzarbeit am meisten betroffene IG-Bau drängt gerade im Zuge der pünktlich zum 1. Mai anstehenden EU-Osterweiterung auf stärkere Kontrollen und hartes Durchgreifen. Ein solches Vorgehen ist aber nicht nur wenig aussichtsreich, es hat auch wenig mit internationaler Solidarität und viel mit dem Willen zu tun, Schmutzkonkurrenz auszuschalten.