Der Konsulent und seine Schwester
Ursula Haubner soll die FPÖ aus der Krise führen
von Franz Schandl
Österreichs Freiheitliche sind in eine schweren Krise geschlittert. Seit der parteiinternen Demontage ihrer ehemaligen Obfrau und Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer im September 2002, scheint sich die FPÖ nicht mehr zu erholen. Ging die Haider-Partei noch bei den Nationalratswahlen 1999 mit 27 Prozentpunkten und knapp vor dem späteren Koalitionspartner ÖVP über die Ziellinie, so ist sie beim jetzigen Urnengang zum Europäischen Parlament auf magere 6 Prozent geschrumpft. Hatte man nach Haiders überraschendem Erfolg bei der Kärntner Landtagswahl im Frühjahr noch meinen wollen, das Tief sei überwunden, so belehrte die Europawahl eines Besseren. Der Sinkflug, der hält weiter an.
Ursula Haubner, die ältere Schwester Jörg Haiders, soll nun die Freiheitlichen aus der Krise führen. Letzten Samstag wurde sie bei einem Sonderparteitag der FPÖ in Linz mit bescheidenen 79 Prozent zur Parteiobfrau gewählt. Die Titel, mit denen man Frau Haubner bedenkt, sind alles andere als schmeichelhaft, „Parteimutti“ wird sie genannt oder gar „freiheitliche Trümmerfrau“. Gelingt es der neuen Vorsitzenden wider Erwarten die Freiheitlichen zu konsolidieren, wird der „Konsulent“ – so Haider über seine jetzige Rolle in der Parteispitze – sich das ganz familiär auf seine Fahne heften; gelingt es nicht, wird die Ursula halt wieder gehen müssen.
Dass Haider trotz vieler Bitten die Parteiführung nicht selbst übernommen hat, zeugt davon, dass er unmittelbar nicht so recht weiß, was er damit anfangen soll. So lässt er mal die Schwester machen und wartet zu. Fragt sich nur worauf. Die Strahlkraft hat nachgelassen, das Charisma ist im Verblassen. Wie die Verjüngungskur des alternden Politpopspstars ausschauen könnte, weiß niemand. Eine Offensive ist nicht in Sicht. Die letzten Anstrengungen scheiterten kläglich, etwa als man den SP-Europarlamentarier Hannes Svoboda in patriotischer Geiferei des Vaterlandsverrats bezichtigte und gar vorschlug, ihm das Wahlrecht zu entziehen. Das ging völlig daneben.
Und doch ist festzuhalten, selbst wenn der Typ erledigt sein sollte, gilt das keineswegs für den Typus. Ganz absichtsvoll setzte etwa das größte Boulevardblatt des Landes, die „Kronen Zeitung“ bei der EU-Wahl nicht auf die Haider-Partei, sondern auf den von der SPÖ abgesprungenen Linkspopulisten Hans-Peter Martin. Der selbsternannte Aufdecker, bekannt geworden als Autor von „Die Globalisierungsfalle“, fischte erfolgreich im FPÖ-Teich und fuhr mit 14 Prozent ein sensationelles Ergebnis ein.
Jörg Haider hat seine Partei nicht mehr im Griff. Erstmals tritt sogar die Parteirechte offen gegen ihn in Erscheinung. Diese geriert sich deutschnational und sozialpopulistisch, vor allem aber ressentimentgeladen und aggressiv. Die von der FPÖ mitgetragene Regierungspolitik kann sie nur als Verrat an der eigenen Identität auffassen. Dementsprechend agiert sie. Der Kopf dieser Partie, Ewald Stadler, war Mitte der Neunzigerjahre als Fraktionsführer im Nationalrat („Dobermann“, so sein Spitzname) die Nummer Zwei der Partei gewesen, um aber dann von Haider in unwichtigere Ämter abgeschoben zu werden. Stadler ist der Mann, dem seine Gesinnung via Mensur schon ins Gesicht geritzt ist. Auf den Schmiss ist er zweifellos stolz. In den letzten Jahren war der schlagende Burschenschafter vor allem deswegen aufgefallen, weil er mehrmals provokativ von der „angeblichen Befreiung“ Österreichs im Mai 1945 gesprochen und so für Aufregung gesorgt hatte. Am Parteitag sprach Ewald Stadler den Delegierten aus den Herzen und riss sie jedenfalls zu stehenden Ovationen hin. Die Stimmung der Basis ist zweifellos auf seiner Seite. Schließlich übertrug man ihm die Parteiakademie. Und mit dem 35jährigen Hans-Christian Strache konnten die Rechten einen der Ihren als stellvertretenden Parteichef durchsetzen.
Ob man deswegen von einem Rechtsruck in der FPÖ reden kann, darf allerdings bezweifelt werden. Der Aufstand der rechten Recken ist keineswegs zu überschätzen. Deren Gepolter ist eher etwas für die Beruhigung der gekränkten Gemüter. Zu meinen, mit einem völkischen Kurs seien wieder Zugewinne möglich, ist ganz einfach Unsinn. Sollten sich Stadler, Strache oder der berüchtigte „Chefideologe“ Andreas Mölzer wirklich durchsetzen, wird das die FPÖ nicht reanimieren, sondern ruinieren. Haider weiß das sehr genau, und deswegen will er seine Übertreuen auch in Zaum halten. Dezidiert rechts, aber nicht stramm, sondern flexibel und zeitgeistig, das war Haiders Strategie stets gewesen. Das entspricht auch den Wünschen der neuen Parteiobfrau.
Die Parteirechte ist zwar das Rückgrat der Partei, aber keineswegs das Fleisch. Der harte FPÖ-Kern war niemals typisch für die Wählerschaft, die Haider sich in mehr als zehn Jahren zusammenraubte. Der FPÖ-Ideologie stand sie meist indifferent gegenüber. Die störte sie einerseits nicht, zog sie aber auch andererseits nicht besonders an. Deutlich zeigt sich nun auch, dass die satten Zugewinne zwischen 1986 und 1999 kein substanzielles Plus darstellten, sondern eben nur ein diffuses Protestpotenzial abgeschöpft werden konnte. Wie gewonnen, so zerronnen.
Die FPÖ ist aber noch aus anderem Grund schwer angeschlagen. Viele ihrer Regierungsmitglieder zeichnet vor allem eines aus: fachliche Unfähigkeit. Sie wollen nicht nur etwas Falsches, sie machen auch das Falsche nicht richtig. Sie stellen sich so ungeschickt an, dass ihre Minister und Staatssekretäre meist in Rekordtempo ausgetauscht werden müssen. Die FPÖ-Leute sind schlichtweg regierungsuntauglich, und das ist an dieser Stelle als rein formaler Einwand zu verstehen. Und auch die ÖVP ist nicht mehr zu erpressen. Ihr stehen andere Optionen offen. Zur Zeit streckt sie ihre Fühler Richtung schwarz-grün aus. In Oberösterreich läuft ja gerade der erste Modellversuch, und das, wie man hört, zur besten Zufriedenheit der Christkonservativen.
Erschienen in: Freitag (Berlin), Ausgabe 29, 9. Juli 2004.