Weder Säufer noch Jäger
Erste Biografie des österreichischen Wendekanzlers
von Franz Schandl
Wolfgang Schüssel ist wahrlich ein Phänomen. Wie oft wurde dem einst von Niederlage zu Fettnäpfchen eilenden Mann bereits sein politisches Ende vorausgesagt? Und nun? Nun ist „der Überlebenskünstler“ (S. 196) – so sein Vorgänger im Amt des ÖVP-Obmanns, Erhard Busek – schon in seinem vierten Jahr Kanzler und dürfte es, derzeit fest im Sattel sitzend, auch noch einige Zeit bleiben. Kaum ein Politiker hat aus seinen Misserfolgen so profitiert wie Schüssel. Bereits 1995 zeigte er Standfestigkeit gegenüber dem damaligen Wahlsieger Franz Vranitzky. Dieser hatte zwar die Wahlen gewonnen, Schüssel jedoch die Koalitionsverhandlungen.
Im letzten Herbst konnte er sogar, geschickt die Schwäche der FPÖ ausnutzend, ein Wahlerfolg einfahren, dem ihm absolut niemand zugetraut hatte. Das war Schüssels zweiter Streich, der erste war, als der Wahlverlierer von 1999, sich nach seiner schweren Schlappe vom dritten Platz aus in das Kanzleramt pokerte. Er hat seltene Gelegenheiten beim Schopf gepackt. Diesbezüglich behauptet der Biograph Peter Pelinka wohl zurecht, dass Schüssel „der cleverste österreichische Politiker seit Bruno Kreisky“ (S. 76) ist. Es gab nur einmal eine Chance, Kanzler zu werden. Schüssel hat sie genützt. Es gab nur einmal eine Chance, eine Wahl zu gewinnen. Schüssel hat sie genützt.
Je nach Sicht gilt der ÖVP-Bundesobmann als Taktiker erster Güte oder übelster Sorte. Vor allem versteht er es, im richtigen Moment das Richtige zu tun und die entsprechende Geschwindigkeit zu wählen. Schüssel ist wendiger als er erscheint, und erscheinen tut er so, weil ihm die Aufgeregtheit fehlt. Er ist alles andere als ein Populist. So wirkt er des öfteren völlig untätig, so als möchte er alles mögliche und unmögliche einfach aussitzen. Dann aber wieder greift oder schlägt er blitzschnell zu. Tatsächlich, er ist ein „Blitzgneißer“ (S. 196).
Nach dem triumphalen Wahlsieg im November 2003 (+15 Prozent) präsentiert Schüssel sich selbstbewusster denn je. Er ist von sich nicht nur überzeugt, sondern in vieler Hinsicht eingenommen. Aber es ist mehr eine implizite Arroganz als eine explizite. Durchziehen ist angesagt: ob Pensionsreform, ob Umbau der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), ob Privatisierung ehemaliger Staatsbetriebe. Schüssel versteht sich als „Richtungskanzler“, als jener Mann, der nach 30 Jahren sozialdemokratischer Vorherrschaft ganz andere Akzente setzt und die Verkrustungen aufbricht.
Bei aller marktwirtschaftlichen Besessenheit ist er kein strammer rechtskonservativer Ideologe. Prinzipiell kann er mit allen, wenn sie zu seinen Bedingungen wollen. Selbst „schwarz-grün“ ist unter Schüssel nicht ausgeschlossen. Ob er deswegen als inhaltlich aufgeschlossen gelten kann, sei dahingestellt, auf jeden Fall ist er interessiert. So pflegt er auch seit Amtsantritt zweimal im Jahr ein „philosophisches Mittagessen“ mit Leuten wie Sloterdijk, Liessmann oder Burger zu veranstalten, die deswegen prompt als „Wendephilosophen“ figurieren.
Der ÖVP-Obmann ist keineswegs auf das Bündnis mit der Haider-FPÖ festgelegt. Aber nur die Freiheitlichen haben ihn 2000 zum Kanzler machen können, bloß die gaben es in den letzten Koalitionsverhandlungen so billig. Die Entscheidung mit Haider gemeinsame Sache zu machen, war keine für Haider, sondern eine von Schüssel für Schüssel. Ob Schüssel die Professionalität der FPÖ falsch eingeschätzt hat, wie Pelinka meint (S. 200), muss allerdings bezweifelt werden. Möglicherweise hat er sie goldrichtig eingeschätzt und aus deren offensichtlichen Schwächen Kapital geschlagen. Manch freiheitliche Zwerge in Staatsämtern haben Schüssel mehr genützt als geschadet. Ebenso war er der große Profiteur der gegen Österreich verhängten Sanktionen gewesen. Schüssel hat Haider jedoch nicht entzaubert (geschweige denn die Haiderei), aber er (und er als erster! ) hat ihn ordentlich ausgetrixt, nachdem die FPÖ nach dem Rücktritt der damaligen Parteiführung um Susanne Riess-Passer in die Krise geschlittert war.
Peter Pelinka, einer der Chefredakteure des größten österreichischen Wochenmagazins News, hat zwar ein kurzweiliges, aber doch wenig fundiertes Buch geschrieben. Natürlich finden sich einige interessante Bonmots, etwa wenn der SP-Abgeordnete Ewald Nowotny über den Kanzler sagt: „Schüssel ist ein kluger Bursche, der langfristig denken kann; außerdem ist er weder Säufer noch Jäger und auch sonst jeder Männerbündelei abhold.“ (S. 192) Das fällt auf, ebenso dass er nicht in der Politik aufgeht, sondern sich „relativ unabhängige Lebenskreise geschaffen“ (S. 200) hat. Das wirkt authentisch und kommt auch gut an.
Manchmal weiß man allerdings nicht so recht, was einem der Autor mitteilen will. So zitiert er eine langjährige Bekannte des Kanzlers wie folgt: „Er war ein lockerer, lustiger, insofern attraktiver Bursch, erotisch hat Wolfgang – zum Unterschied von Erhard (Busek, F. S. ) aber keine Signale ausgesandt, weder aktiv noch passiv.“ (S. 182) „Die“, schreibt Pelinka gleich weiter „hat Schüssel seit 1969 für eine damalige Psychologiestudentin (d. h. seine jetzige Frau Krista, besser bekannt unter „Gigi“, F. S. ) aufgespart.“ (S. 182) – Ist das nun ein Kompliment oder schon das Gegenteil davon?
Als Insider des innenpolitischen Geschehens weiß Pelinka von vielen Details, zweifellos. Aber muss man die alle zwischen zwei Buchdeckel pressen? Und dann in unzähligen Klammersätzen andeuten, dass man notfalls noch mehr darlegen könnte? Happen werden angeboten, aber kein ordentliches Mahl serviert. Der Autor erzählt viel, aber erklärt wenig. Das Buch hat zweifellos eine stark hagiographische Note, einige Passagen am Ende der Biografie lesen sich gar wie ein Werbesprospekt. Dies ist umso bemerkenswerter, da Pelinka eindeutig der Sozialdemokratie zugerechnet wird.
Das grundsätzliche Problem, wenn Journalisten Bücher produzieren, ist folgendes: Jene, die immer dazu angehalten werden, knapp und präzis einen bestimmten Zeilenumfang zu formulieren, tun sich manchmal schwer, wenn sie sich ausbreiten dürfen. Die Verknapper stopfen dann in ihre Bücher viel Dehnstoff. Das Metier ist ein anderes und oft nicht ihres. So auch bei Pelinka.
PETER PELINKA: Wolfgang Schüssel. Eine politische Biografie, Verlag Carl Überreuter, Wien 2003. 208 Seiten, 19,95 Euro.