Der Liberalismus und seine Freundinnen. Attac goes rechtsliberal
von Andreas Exner
Frankreichs rechtsliberaler Premierminister Jean-Pierre Raffarin hat sich dieser Tage zu einer Debatte mit den GlobalisierungskritikerInnen bereit erklärt und betont, dass sich diese anlässlich des nächsten G7-Treffens im kommenden Juni in Evian „auf demokratische Weise“ und „ohne polizeiliche Überwachung“ äußern könnten. „Wir glauben, dass die Debatte über die Globalisierung eine offene Debatte sein muss. Wir wollen nicht, dass die Dinge so ablaufen wie in Genua“, meinte Raffarin.
Ob es ein gutes Zeichen ist, dass rechtsliberale Premiers an globalisierungskritischen Debatten Gefallen finden? Vielleicht will der Premier ja Mitglied bei ATTAC werden? Die Klage über die Zerstörung der schönen freien Konkurrenz durch Oligopole und Konzerne ist ja eines der Kernthemen des Liberalismus. Und Raffarin wäre nicht der erste Politnik, der plötzlich sein Herz für „eine andere Welt“ entdeckt.
Das wachsende Polit-Prestige von ATTAC mag manch eineN zu vorschnellem Jubel verleiten. Nüchtern betrachtet geht es dabei aber bloss um „Ersticken durch Einbinden“. Diese Technik ist bekannt. Von den 68ern ueber die Öko-Bewegung, die Frauenbewegung, die Dritte Welt-Bewegung, von den Grünen bis zu den Bürgerinitiativen der 80er und 90er gehen die Beispiele. Das demokratische System hält sich im Kern bekanntlich nicht durch Brutalität und offenen Ausschluss, sondern durch den Zwang zur Selbstdisziplinierung, subtile Kontrollmechanismen, selektive Integration von Opposition und das gezielte Aufgreifen von Kritik am Leben. Getreu dem daoistischen Motto, dass wahre Stärke in vermeintlicher Schwäche liegt. Nur für die nicht integrierbaren Randgruppen sind zu schlechter Letzt Mittel offenen Zwangs, Gefängnis, Polizei, Justiz, Repression und Denunziation vorgesehen. Wenn die Angebote zu Gesprächen angenommen werden sollten, so wird es dem Staatsapparat umso Leichter fallen, den aus guten Gründen nicht gesprächsbereiten Teil der Bewegung weiter zu kriminalisieren und endgültig mundtot zu machen. „Teile und Herrsche“ ist keine antike Idee. Die blödsinnige Bezeichnung von ATTAC als eines „Antiglobalisierungs-Dachverbandes“ (O-Ton APA) passt da ganz ins Bild.
„Man darf nicht den Eindruck erwecken, dass ein Teil der Welt unter sich über seine Schwierigkeiten diskutiert, während der andere Teil der Welt gemeinsam mit den NGOs ausgeschlossen wird“, betont Raffarin: „Also müssen wird dieser Situation vorbeugen“. Man muss nur zwischen den Zeilen lesen, um zu verstehen, was darunter zu verstehen ist: Es geht darum, nicht den Eindruck zu erwecken, der sich einstellen will. Was sich nicht beugt, dem ist eben vorzubeugen.
Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Bürgerliche Anschlussfähigkeit kann unter bestimmten Umständen Chancen bieten, Unfreundlichkeit ist keine Tugend. Übertriebener Freundlichkeit ist allerdings mit Vorsicht zu begegnen; das sagt uns nicht nur die Mutter der Porzellankiste. Grundsätzlich muss klar sein, dass Umarmungsversuche durch Polit- und Medienstrukturen Warnsignale sind. Positiv gesehen heisst so etwas bestenfalls, dass ATTAC als Bedrohungspotential der herrschenden Ordnung wahrgenommen (oder phantasiert) wird. Aus Sicht der SystemfunktionärInnen ist dieses durch Einbindung unschädlich zu machen. Das gehört schliesslich zu ihrem Job.
Der Anfang vom Ende
Wie Raffarin weiter mitteilte, sei die französische Regierung überdies bereit, einen Antrag des „Antiglobalisierungs-Dachverbandes ATTAC“ auf finanzielle Unterstützung für die Organisation eines europäischen Sozialforums, das im kommenden November in Paris geplant ist, zu überprüfen.
Das stimmt bedenklich. Zum einen wird damit auf einen Schlag klar, wie es um das Weichspülerkonzept von der „Zivilgesellschaft“ als eines „autonomen Handlungsfreiraums jenseits von Markt und Staat“ bestellt ist: Mehr als ideologisch verkleidete WasserträgerInnen des Staates treiben sich dort scheinbar nicht herum. Und was für ein schöner Kontrast zum erklärten Willen der ZivilgesellschafterInnen, den Staat in seine Schranken weisen zu wollen, ihn gegen sein Bestreben auf die Einhaltung von Recht und Verfassungsnorm zu verpflichten! Für dieses edle Ansinnen soll er also gefälligst zahlen … eigenartig und kämpferisch ist die Zivilgesellschaft.
Zum anderen wird absehbar: Sobald Geld aus staatlichen Futtertrögen fliesst, ist ATTAC „mit von der Partie“ und die Schere im Kopf nicht mehr weit, allem guten Willen zum Trotz. Vor allem dann, wenn ein derart kritikloser „Pragmatismus“ den Ton angibt, wie das im Moment der Fall ist.
In Wahrheit werden sinnvoller Pragmatismus und subversive Aneignung staatlicher Mittel erst auf Grundlage radikaler Systemkritik denkbar. Alles Andere tendiert zwangsläufig zu nützlicher Idiotie. Ein Beispiel: Wenn die grossen ATTAC-Veranstaltungen erst einmal von Subventionen abhängig sind, bestünde auf Seiten der Wettbewerbs- und WachstumskritikerInnen ein materielles Interesse, für Wettbewerbsfähigkeit und Wachstumsstärke der EU einzutreten. Denn diese machen einen derartigen Subventionsluxus ja überhaupt erst möglich. Ganz zu schweigen von den Angeboten, in Gremien und Kommissiönchen mitzuarbeiten, die sich den staatlich geförderten Wochenend-KritikerInnen mit der Zeit bieten werden. So läßt sich herrlich Zeit vertun und die GlobalisierungskritikerInnen lernen ein bischen Verantwortung. Vielleicht schauen sogar ein paar nette Jobs dabei heraus.
Der Anfang des Endes von ATTAC sozusagen.
Der Weg alles Widerständigen?
Sind das alles Hirngespenster? Ein Blick auf die deutschgrüne Wachstums-, Konkurrenz- und Bombenpolitik sollte vom Gegenteil überzeugen. Auch das Gebaren der hiesigen und dortigen Gewerkschaften („Bündnis für Arbeit“) spricht Bände. Wer sich als Generalvertretung der Ware Arbeitskraft versteht, wird natürlich alles daran setzen, diese verkaufsfähig zu halten. Von einer Kritik des Sachzwangs kann bei einem solchen Selbstverständnis keine Rede mehr sein.
Die homepage des ÖGB (http: //www. oegb. at/) etwa wartet mit Huldigungen der österreichischen Wettbewerbsfähigkeit und dem erklärten Willen auf, diese auch zu erhalten … bei Strafe des Untergangs der eigenen Finanzierungsmittel und reliktären Einflussmöglichkeiten, versteht sich. So frohlockt ein Text über „Fakten zur Besteuerung“: „Österreich ist wettbewerbsfähig wie noch nie! (… ) Die Fakten zeigen, die für die Wettbewerbsfähigkeit relevanten Lohnstückkosten in der Industrie sind niedrig wie noch nie! Niedriglohnkonkurrenz, d. h. wettbewerbsfähiger durch niedrigere Lohnkosten zu werden, würde auch auf Dauer nicht funktionieren. Die Unternehmer vernachlässigen dann alles, was für die Erhaltung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit notwendig ist: die Weiterentwicklung der Produkte, die Verbesserung der Qualität, usw. (… ) Dazu sind hoch motivierte, leistungsbereite und entsprechend entlohnte Mitarbeiter wichtig. “
Ein Hoch dem Neoliberalismus! Anstelle eines sozialen Kahlschlags wird hier das intelligente Fitmachen des nationalen Wirtschaftsstandorts für den Krieg am Weltmarkt empfohlen. Das Ziel bleibt sich gleich. Die Folgen ebenso.
ATTAC könnte derlei jedenfalls zur Einsicht gereichen: Wer gestalten will, um das System von Geld und Arbeit zu „verbessern“, muss sich zu allererst einmal darum sorgen, dass überhaupt etwas da ist, das „verbessert“ werden kann, das heisst: dass kräftig Kohle gemacht wird. Ansonsten geht da nämlich gar nix. Keine Arbeitsplätze, keine Steuereinnahmen, keine Subventionen und keine „politischen Handlungsspielräume“.
Eine so missverstandene „Globalisierungskritik“ kann sich eigentlich gleich selber einpacken.