Fahrrad und Marktwirtschaft
Streifzüge 2/2002
von Franz Schandl
Wenn die etablierte Politik mal eine gute Idee hat oder sie sich irgendwoher borgt, soll man das durchaus anerkennen und unterstützen.
Die Gratisfahrräder der Gemeinde Wien sind sogar eine ausgezeichnete Idee. Auf den Drahtesel aufzusteigen, einfach wohin zu fahren, und ihn dort wieder anzubinden, ohne sich weiter um ihn kümmern zu müssen, was will man mehr. 1.500 Fahrräder wollte man ursprünglich für die inneren Bezirke zur Verfügung stellen. Die einzige Zumutung ist, dass man als Reklameträger der Krone auftritt. Aber da könnte man sich ja durchaus eine Umwidmung einfallen lassen. Wer hindert einen, diese Werbeflächen anderweitig zu nutzen?
Nun aber droht der Versuch an den marktwirtschaftlich dimensionierten Menschen zu scheitern. Die wissen nämlich überhaupt nicht, wie man damit umgehen soll, betrachten das Fahrrad als privatisierungswürdiges Eigentum oder als Gegenstand, der dazu da ist, sich einfach abzureagieren. Dass man etwas gratis erhält, was man benützen kann, will nicht so recht in die bürgerliche Birne, daher werden die Räder entwendet, entführt oder ruiniert. Der Destruktivität sind keine Grenzen gesetzt. Und es ist nicht bloß ordinäre Habgier, sondern wohl auch eine gehörige Portion reiner Zerstörungs“lust“, die die Fehlnutzer da auszeichnet. So eine Art Scheiß-Drauf-Gefühl: Mach kaputt, weil Du kaputt bist!, so in etwa dürfte der Imperativ der kleinen Unwesen lauten.
Sie führen sich auf wie die Depperten. Sie verhalten sich geradewegs so, als wäre es objektive Aufgabe und subjektive Pflicht, diesem Impuls den Garaus zu machen. Und es sind nicht bloß „unbelehrbare Vandalen“ oder gar „G’frasta“, es sind ganz normale Warenkörper, die das Konkurrenzsystem zwei Grundbedingungen der Existenz gelehrt hat: abstauben und ausschalten, kurzum: rauben und vernichten.
Wer schließlich auf so eine blöde Idee wie Gratisfahrräder kommt, ist selber schuld. Karl Timmel (ÖVP), stellvertretender Bezirksvorsteher in Wien-Wieden sagt es ganz deutlich: „So gut sind die Menschen, auch wenn sie Radfahrer sind, nicht“, ohne uns jedoch zu sagen, wo diese unguten Menschen herkommen. „Diese Aktion kann nur im Chaos enden“ (Wiener Bezirkszeitung, Ausgabe 8/2002, S. 14), befürchtet er sich freuend. Schadenfreude scheint ein Charakteristikum der Warensubjekte zu sein, die anderen alles missgönnen, was nicht marktkonform ist: Bezahlt werden muss! Gratis ist lediglich der Tod. Auf Kosten der Steuerzahler strampeln, das geht nun wirklich nicht. Steuergelder mögen für Abfangjäger und Autobahnen, ja sogar stellvertretende Bezirksvorsteher ausgegeben werden, für Fahrräder und weniger Autos: nein!
Die Leute sind es einfach nicht gewohnt, ein zweckentsprechendes Verhalten an den Tag zu legen, meint die Meinungsforscherin Helene Karmasin in der mitternächtlichen Nachrichtensendung ZiB3 am 30. Mai. Es sei eher erstaunlich, wie viele Räder überhaupt zurückgegeben wurden. So kann man es natürlich auch sehen. Man vernimmt fast überall den obligaten Sermon, dessen Stehsätzchen ungefähr so lauten: Der Mensch ist nicht so. Zwangsbeglückung scheitert. An solchen Dingen ist auch der Sozialismus zugrunde gegangen…
Eilfertig treten die Propagandisten der Marktwirtschaft auf, etwa der Standard-Autor Helmut Spudich, für den das Ganze nur „eine flächendeckende, lebensnahe Lehrveranstaltung über das Versagen kollektiver Eigentumsmodelle versus die funktionierende kapitalistischen Organisationsformen“ darstellt. (Standard, 18. Mai 2002, S. 40) Dass die Funktionäre der kapitalistischen Organisationsform da nichts anderes sind als die Marodeure der Fahrräder, will ihm absolut nicht auffallen. Im Gegenteil: Die mutwillige Zerstörung öffentlichen Guts und das Bekenntnis dazu ist Grundlage seiner irren Argumentation. Dass gerade die individuellen Eigentumsverhältnisse an PKWs das Leben erschweren (Lärm, Gestank, verparkte Flächen, Schadstoffe, Unfälle etc. ), an sowas denken die Spudichs nicht. Hauptsache es rechnet sich für Auto- und Ölfirmen. Wer behauptet, dass der Kapitalismus funktioniert, funktioniert nicht mehr, höchstens als besoldeter Ideologiesekretär der Marktwirtschaft, die er blind jeder konkreten Entwicklung zu verteidigen hat.
Außerdem, so Spudich, „verdirbt die Injektion von Gratisrädern das bisherige Marktverhalten: Wer will schon Räder kaufen, wenn es sie gratis gibt? “ Merke: Nicht Räder benutzen, ist das Ziel der Marktwirtschaft, sondern Räder kaufen! Nicht Autos verwenden, ist das Ziel der Marktwirtschaft, sondern Autos erwerben. Nicht Essen zu haben, ist das Ziel der Marktwirtschaft, sondern Nahrungsmittel zu erstehen. Nicht in Wohnungen zu leben, ist Ziel der Marktwirtschaft, sondern Immobilien zu veräußern. Man könnte das fortsetzen. Der Propagandist legt es ja offen, aber niemandem fällt es auf, wie unverschämt dieser Unsinn, der zur Rationalität des Lebens geworden ist, eigentlich ist. Es darf einfach nicht gelingen, was den gängigen Marktkriterien nicht entspricht. Die Destrukteure (seien es gewöhnliche Diebe, Journalisten oder ÖVP-Politiker) verhalten sich so wie die Köter des Kapitals, um ja keinen Moment den Gedanken aufkommen zu lassen, Menschen wären zu solidarischem Handeln fähig – noch dazu abseits des Privateigentums! Das geht nicht. Das darf nicht sein. Wo kämen wir denn da hin? Da könnte zweifellos jemand auf so hinterlistige Gedanken kommen, dass solcherlei auch in anderen Bereichen, ja möglicherweise in allen, funktionieren könnte. Um Gottes Willen, das riecht verdächtig nach Kommunismus. Da gilt es aufzupassen. Nur niemanden auf den Geschmack kommen lassen! Bloß nicht! Halt!
Man könnte das System etwa auf Autos ausweiten. Man stelle sich nur vor, wie schön Wien wäre, würde es nur die tatsächlich benötigten Fahrzeuge geben, was meint, dass ein Großteil der Stehzeuge wegfallen würde. Unvorstellbar? Natürlich, im Kapitalismus ist vieles unvorstellbar, was leicht anstellbar wäre, gäbe es ihn nicht. Mit einer Gesellschaft, wo jedem förmlich der Privat-PKW (soweit leistbar) aufgezwungen wird, ist das allerdings unvereinbar. Da halten wir gar keine Gegenrede. „Was in der Marktwirtschaft nicht läuft, läuft nicht“; ist aber ein völlig falscher Satz, korrekt lautet er: Was im Kapitalismus nicht geht, geht nur im Kapitalismus nicht!
Nachdem jedes dritte Fahrrad entwendet und jedes vierte beschädigt worden ist, haben die City-bike-Betreiber vorerst kapituliert. Das System soll nachjustiert und Anfang Juli neu gestartet werden. Kontrolle und Handy-Zwang werden das lockere Pfandsystem (2 Euro) ersetzen. Das soll so laufen: „Der Rechner registriert die User-Telefonnummer und gibt über Handydisplay einen vierstelligen Nummerncode (den auch das Terminal erhält) bekannt. Diese Zahlenkombination ist in das digitale Nummernschloss (werden auf den Terminals eingebaut) einzugeben. Schon löst sich der Schlitten aus der Verankerung, das Rad kann entlehnt werden. Die Nutzungszeit der Viennabikes ist auf vier Stunden beschränkt. Wer überzieht, bekommt ein Erinnerungs- SMS geschickt. Erfolgt nach acht Stunden keine Reaktion, kommt ein Anruf der Zentrale. Findet der Rechner nach zehn Stunden das Rad immer noch nicht in einem Terminal, wird Anzeige erstattet.“ (Kurier, 30. Mai 2002, S. 11)
„Schluss mit lustig“, so der Organisator Michael Kühn heißt freilich nichts anderes, als dass jetzt der kapitalistische Ernst begonnen hat. Die Ausleihbedingungen werden auf jeden Fall verschärft und verkompliziert. Sie machen wohl das ganze ursprüngliche Vorhaben kaputt, sind nur Zwischenstufen auf dem Weg zur Abschaffung oder zur Monetarisierung einer Dienstleistung. Eines jedenfalls sollten wir uns nicht einreden lassen: Nicht das Gratisrad ist an der Marktwirtschaft gescheitert, sondern die Marktwirtschaft am Gratisrad!