Anti-Politik ist eine Möglichkeit
Streifzüge 3/2002
von Martin Dornis
„Von einer emanzipatorischen Praxis ist zu sprechen, wenn es gelingt, Menschen gegen ihre Charaktermasken zu mobilisieren, d. h. die innere Front der Staatsbürger, Arbeiter, Wähler, Unternehmer, Rechtspersonen, Käufer, Verkäufer, Konsumenten etc. aufzubrechen und den Panzer des falschen Ich zu sprengen (… ). Transvolution beginnt, wo Subjekte gegen ihre Subjekthaftigkeit rebellieren (… ) sich selber nicht mehr mit ihren objektiven Rollen identifizieren, sondern versuchen, sich von diesen ideell, aber auch reell abzusetzen. Sicher gibt es keinen Knopf, den Automaten einfach abzuschalten, aber schon der bewusste Widerstand gegen seinen Ablauf sollte Motivation sein. “
Franz Schandl, Der postmoderne Kreuzzug
Vor einem reichlichen Jahr gab es unter den versprengten Leipziger Rest-Linken eine Diskussion unter dem Titel „Kritik oder Politik? „, der ich mich noch mal zuwenden möchte. Da die Diskussion aus meiner Sicht mit der Zeit beträchtlich in die Schieflage geriet, möchte ich hier die dringende Notwendigkeit einer Kritik der Politik (diese wird im folgenden als Anti-Politik bezeichnet) rekapitulieren. Die Oberflächlichkeit der damaligen Debatte, lässt sich daran erkennen, dass es auch in heutigen Diskussionen selbstverständlich ist, davon zu reden, sich „politisch zu betätigen“ oder „politisch zu sein“. Der linke Fußballclub „Roter Stern Leipzig“ verkündet gar in einem Aufruf, dass es ein unpolitisches Leben gar nicht geben könnte. Stimmte das, so wäre Gesell- schaftskritik schlichtweg tot, gäbe es für sie keine Möglichkeit mehr, wäre es mit allem linken und emanzipatorischen Handeln aus und vorbei. Denn: In gesellschaftskritischer Absicht ist der absolute Bruch mit der Politik nötig. Eine Kritik am Kapitalismus ist nicht möglich ohne einen prinzipiellen Bruch mit der Form der Politik. So lange Menschen noch „Politik machen“, „politisch sein“, „andere politisieren“ wollen, solange bleibt Gesellschaftskritik an der Oberfläche.
Oberflächlich war die Debatte aber auch deshalb, weil gründlich missverstanden wurde, was es mit der Kritik der Politik überhaupt auf sich hat. Auf einmal galt es als falsch gegen Nazis zu sein oder zumindest was gegen sie zu machen. Während einige der „Kritikfraktion“ diese Position ironisierend/kritisch nachfragend unterstellten – schrieben sich andere dieses Missverständnis allzu eifrig auf die Fahnen und meinten, man dürfe jetzt wirklich nichts „Praktisches“ mehr machen.
Thesen über Politik und Anti-Politik
1) Gegen die Politik ist nicht das „Unpolitisch- Sein“ zu vertreten, sondern das gezielte theoretische und praktische Agieren gegen die Politik, also Anti-Politik: diese bleibt auf Politik bezogen, kann sich mit den Gegenständen der Politik beschäftigen, muss aber selbst was völlig anderes als Politik sein.
2) Gegen die Politik ist nicht die „reine Kritik“, nicht das Sich-Beschränken auf Bücher Lesen, Texte Schreiben und Referate Halten zu richten. Das Gegenteil von Politik ist weder „Theorie“ noch geht es darum, keine Demos mehr durchzuführen. Statt dessen muss eine gesellschaftskritische Theorie und Praxis entstehen: Diese kann Demonstrationen wie das Abfassen von Texten beinhalten. Ihren Charakter findet sie nicht ausschließlich in der Wahl ihrer Mittel, sondern in ihren Ansprüchen und Inhalten. Wobei freilich geänderte Inhalte andere Formen ihrer Äußerung bedingen.
3) Anti-Politik ist kein Dogma im Sinne von „du darfst“ oder eben nicht: selbst im Kontext einer Anti-Politik kann es bisweilen sinnvoll sein, Politik zu betreiben. Kriterium für Anti- Politik ist nicht, dass man auf keinen Fall was Politisches durchführen darf. Sondern: es ist unkritisch, sich selbst als politisch zu verstehen und sein Handeln auf die Politik zu beschränken/ zu konzentrieren oder alles was man praktiziert „Politik“ zu nennen. Aber es ist nicht prinzipiell falsch, mal (bei generellem anti-politischen Ausgangspunkt der Kritik selbstverständlich) was Politisches zu machen.
4) Anti-Politik ist kein einheitliches Gegenprinzip, sondern eine Hilfsvokabel. Klar ist nur ihr Ziel, das sie doch nur negativ anzugeben weiß: eine befreite Gesellschaft, nämlich befreit von Markt und Staat. Klar ist der Anti-Politik aber auch, dass diese durchgesetzt werden muss. Die befreite Gesellschaft entsteht nicht durch Texte, Referate, Gebete oder Hoffnungen. Die Anti-Politik geht davon aus, dass sie selbst es ist, die diese befreite Gesellschaft Wirklichkeit werden lässt. Als von Anbeginn negative bzw. negatorische fühlt sich die Anti-Politik am wohlsten in der radikalen Kritik der bestehenden Ordnung.
5) Anti-Politik ist prinzipiell pessimistisch. Sie wendet sich scharf gegen „Hoffnung“ („Es wird schon alles werden. Irgendwie“) und „Utopie“ („Eine andere Welt ist möglich“). Dennoch erkennt sie, dass es leichter ist, ein brennendes Schiff zu verlassen, wenn man sich vorher ein neues seetüchtiges geschaffen hat. 1 Dabei ist sich die Anti-Politik im Klaren darüber, dass nur eine gesamt-gesellschaftliche Alternative praktikabel ist. Ein Aussteiger-Modell weniger würde im Klitschenwesen versacken. Die Anti-Politik wartet nicht auf die Krise, sondern betrachtet sie als Realität und nutzt sie als Chance. Daher ist sie keine Zukunftsmusik: Sie beginnt oder muss beginnen, so banal das klingt, hier und jetzt.
6) Dazu muss Anti-Politik sich Geschichte aneignen. Geschichte ist, so Walter Benjamin, nicht schlicht die Vergangenheit, sondern die angeeignete Vergangenheit, das was uns von der Vergangenheit heute bewusst ist. Geschichte ist also aktiv: ein- und angreifend. Anti-Politik muss sich also auf Spurensuche nach ihrer eigenen Vergangenheit und Gegenwart begeben, denn die Zukunft soll anti-politisch sein.
7) Dreh- und Angelpunkt der Anti-Politik ist es, die Menschen gegen sich selbst zu mobilisieren; oder besser: sie gegen ihre Form des bürgerlichen Subjekts aufzuwiegeln, in die sie historisch und individuell gepresst wurden. Sie will Menschen dazu bringen, dass es sie ankotzt und anwidert, Staatsbürger, Deutsche, Männer, Frauen, Homos oder Heteros, Käufer oder Verkäufer, Arbeitende oder Unternehmer zu sein. Dabei kann die Anti-Politik nur am bereits bestehenden Unbehagen von Menschen anknüpfen und dieses begrifflich fassen.
8) Mit ihrer Kritik an der bürgerlich-patriarchalen Sphärentrennung und dem dominierenden männlichen Prinzip der Arbeit und der Verwertung von Menschen und Natur ist die Anti- Politik anti-patriarchal und durchaus anti-männlich. Sie weiß darum, dass sich patriarchale Verhältnisse in der uns gängigen Vorstellung von „Geschlechtern“ ausdrücken: Anti-Politik ist daher so konsequent zu sagen, dass es mit den Geschlechtern ein Ende haben wird und haben muss, auch wenn sie sie nicht als diskursiv produziert und konstruiert betrachtet, sondern als historisch- materielle Wirklichkeit angreift. Damit wendet sich die Anti-Politik aber auch gegen jene Spielarten von Feminismus, die als Differenzfeminismus die „Besonderheit des Weiblichen“ einklagen oder als Gleichheitsfeminismus für die Gleichheit der Geschlechter auf warenproduzierendem und patriarchalem Boden streiten.
9) Anti-Politik braucht zum Leben eine kritische Gesellschaftswissenschaft und marxistische Krisentheorie wie der Fisch das Wasser. Gegen alle Überhöhungen von „Erkenntnis-“ und „Ideologiekritik“ geht sie davon aus, dass die kapitalistische Gesellschaft Gesetzen unterliegt, die wissenschaftlich erkannt werden können. Damit wendet sie sich gegen jeden Erkenntnis leugnenden Agnostizismus (das Bestreiten der Möglichkeit von Erkenntnis) und Irrationalismus – wohl wissend um den Fakt: dass auch der Rationalismus überwunden werden muss. Auch geht es ihr nicht darum, die gesellschaftlichen Gesetze anzuerkennen und ihnen bereitwillig zu folgen. Sie betrachtet sie als von den Menschen hinter ihrem Rücken geschaffene Zwangsverhältnisse, die überwunden werden können. Marxens Satz vom „gesellschaftlichen Sein“, welches das Bewusstsein bestimme, gilt ihr nicht als ewig gültige Seins-Aussage. Sie fasst sie vielmehr als Zumutung und setzt sich für Verhältnisse ein, in denen die Bedürfnisse und Ziele der Menschen ihr Sein bestimmen – in denen sie also ihre Verhältnisse selbst gestalten.
10) Anti-Politik wendet sich scharf gegen den akademischen Mainstream an den Universitäten und begreift kritische Theorie als notwendig autonome Initiative.
11) Die Anti-Politik gehört nicht zu den FreundInnen des Abendlandes. Sie will den westlichen Werten und Glücksversprechen den Garaus machen. Sie steht negatorisch allen „Werten“, „Kulturen“, „Zivilisationen“, „Religionen“ und jeder „Vernunft“ entgegen, die die Menschen in der sozialen Unfreiheit, im Banne von Markt und Staat halten. Sie kritisiert alle Positionen und Haltungen rücksichtslos, die die Möglichkeit einer Gesellschaft ohne ausbeutende und unterdrückende Strukturen leugnen und steht ihnen konträr entgegen. Gerade die westliche Moderne brachte Menschen sukzessive in die Abhängigkeit von abstrakten irrationalen Zwängen (arbeiten müssen, einem Staat untertan sein, eine Geschlechterrolle ausfüllen, … ). Anti-Politik ist daher anti-modern im besten, also im emanzipatorischen Sinne.
12) Die Anti-Politik verachtet die Arbeit und liebt die Muße. Sie hält auch viel vom Nichts- Tun, obwohl sie darum weiß, dass Muße viel mehr als Nichts-Tun und Arbeit ist. Die Anti- Politik will nicht die bürgerliche Tauschgerechtigkeit verwirklichen. Sie will eine Nutzung der verfügbaren Ressourcen für alle Menschen zu ihren Bedürfnissen und in den Grenzen des Möglichen. Anti-Politik anerkennt, dass auf einer endlichen Erde kein grenzenloses Wachstum möglich ist. Dem ehrgeizig himmelstürmenden Patriarchat hält sie entgegen, dass „hemmungslose Leute keineswegs die angenehmsten und nicht einmal die freiesten“ sind, und dass die „wahre Gesellschaft der Entfaltung überdrüssig (… ) aus Freiheit Möglichkeiten ungenützt“ lässt, „anstatt unter irrem Zwang auf fremde Sterne einzustürmen.“ (Adorno, Minima Moralia, S. 296f. )
13) Anti-Politik wendet sich entschieden gegen jeden Leistungszwang und jedwede Konkurrenzmanier. Sie erblickt überall, wo Menschen mit der Wertlogik des Gewinnens bewusst brechen wollen (auch wenn sie dabei „inkonsequent“ bleiben), einen Ansatz der Emanzipation.
14) Die Anti-Politik ist weder revolutionär noch reformerisch. Sie demaskiert „Reform“ und „Revolution“ als Spielarten der Politik. Sie tritt für ein schrittweises, spontanes und unkontrolliertes Ausbrechen aus der Marktwirtschaft und Staatsgesellschaft ein. Sowohl Reform als auch Revolution verblieben bisher in den Grenzen des Bestehenden. Die Anti-Politik jedoch strebt die Überwindung von Markt und Staat an und will diese nicht durch eine „Selbststeuerung der Gesellschaft“ sondern durch die bewusste und diskutierte Gestaltung ersetzen. Gesellschaftliche Verhältnisse will sie zum Gegenstand der Diskussion machen.
15) Die Anti-Politik vertritt das Konzept einer Transformation des Waren produzierenden Patriarchats. Diese umfasst eine vollkommene Umwälzung der Gesellschaft, in deren Zentrum die Aufhebung der Arbeit und der Politik, der bürgerlichen Sphärentrennung in Öffentlichkeit und Privates oder in Arbeit und Freizeit stehen. Damit knüpft sie kritisch an die Ideen der Ökologie- und Alternativbewegung der 70/80er- Jahre an. Sie verteidigt sie, weil sie einen Ausbruch aus der Marktlogik versucht haben. Sie kritisiert sie, weil sie dabei dumpf, reaktionär und kleinkariert wurde. Anti-Politik wendet sich gegen Fortschrittsfeindlichkeit ebenso wie gegen technizistische Allmachts- und Wahnphantasien. Sie wendet sich entschieden dagegen, vor dem Hintergrund des „Veränderns des kleinen eigenen Lebens“ das „große Ganze“ zu vernachlässigen. Aber sie lehnt auch das Gegenteil davon ab: nur über die Gesellschaft und deren Zwänge zu reden, ohne sich selbst ändern zu wollen. Theoretisierend-Praktizierende der Anti-Politik wollen sich selbst verändern, um die Gesellschaft zu verändern und die Gesellschaft verändern, um sich selbst zu verändern. Das Ausspielen des „Großen Ganzen“ gegen die „Kleinen Schritte“ et vice versa betrachtet die Anti-Politik als im Bestehenden abgrundtief verhaftet.
16) Dabei wendet sich die Anti-Politik auch gegen den Gestaltungswahn der RevolutionärInnen und ReformerInnen. Diese müssen, um ihre Revolution oder Reform zu praktizieren, stets das Konzept einer „besseren Welt“ im Kopf haben, welches sie verwirklichen wollen. Anti- Politik verzichtet wohlweislich auf solche Konzepte. Sie will niemanden und keine unter irgendetwas ordnen. Sie will im Moment des Auflösens staatlicher und marktwirtschaftlicher Ordnung (was für sie bereits auf dem Boden des bestehenden Systems sich ereignet), dafür eintreten, dass eine auf Bedürfnisbefriedigung und Mitgefühl gründende Gesellschaft entsteht.
17) Die Anti-Politik erstrebt weder die Gleichheit noch die Unterschiedlichkeit/ Verschiedenheit der Menschen. Sie ist explizit wertkritisch. Der Wert aber als gesellschaftlich vermittelndes Maß der Zeit verausgabter Quanta Arbeitskraft, die notwendig war, um ein bestimmtes Produkt zu erstellen (auch und gerade der Ware Arbeitskraft) ist somit selbst Ziel der anti-politischen Attacke. Damit aber verfällt jeder Maßstab, nach dem Menschen als gleich oder verschieden beurteilt werden könnten, der Kritik. Anti-Politik verhält sich also polemisierend und denunzierend gegenüber Positionen, die die Gleichheit oder Verschiedenheit aller Menschen postulieren.
18) Die Anti-Politik ist stets anti-national. Sie wendet sich gegen das Bekenntnis von Menschen zu Nationalstaaten und sieht in diesen und dem Bekenntnis zu ihnen ein Moment der Durchsetzung des Verwertungssystems. Nationen sind ihr somit ein Gegenstand der Kritik und der Aufhebung. Ohne explizit „antideutsch“ zu sein, wendet sich die Anti-Politik in besonderem Maße gegen Deutschland. Das deutsche Verbrechen Auschwitz steht im Schnittpunkt von kapitalistischer Verwertungslogik und deutschem Geist und Ungeist. In ihm drückte sich die weitertreibende Durchsetzung des Kapitalismus in ihrer hässlichsten, nämlich deutschen Fratze und die sich anbahnende Zerstörungslogik dieses Systems aus. Aus Auschwitz zieht die Anti-Politik die Konsequenz, dass es keine Fortschrittslogik gibt, die innerhalb des Kapitalismus zum Besseren hinführe: inmitten des größten Fortschritts geschah das schlimmste Verbrechen der Menschheit. Damit verbietet es sich für die Anti-Politik, im Namen gerade einer Verhinderung von Auschwitz zu Kriegen zur Durchsetzung von Aufklärung und Kapitalismus aufzurufen. 2
Abgrenzung zwischen Politik und Anti-Politik
Politik geht vom Staat aus oder ist auf ihn bezogen. Also ist die Forderung nach Abschaltung von Überwachungskameras so politisch wie eine Kritik am Asylgesetz oder eine eingeforderte Solidarität mit Israel. Ebenso ist die Bildung einer Bürgerinitiative gegen ein Kernkraftwerk so politisch wie die Beteiligung an parlamentarischen Akten wie Wahlen, Parteien und Ausschüssen. Politik ist also gesellschaftliches Agieren, welches auf den Staat bezogen ist, an den Staat Forderungen stellt etc. So was zu tun, kann sinnvoll sein, ist es auch in vielen Fällen. Das Problem besteht also nicht darin, dass man keine Politik machen darf, sondern dass es falsch ist, sie zum Ausgangspunkt, zum Dreh- und Angelpunkt des eigenen gesellschaftskritischen Agierens zu erheben.
Anti-Politik trennt sich an dem Punkt von der Politik, wo sie erkennt, dass die Linken die Menschen, also sich selbst, immer in den Formen des Bestehenden emanzipieren wollten, in denen von Staat und Politik; auch dann, wenn sie die herrschenden Staaten und die herrschende Politik ablehnten, auch dann, wenn sie, wie die Anarchisten (zweifellos die sympathischsten unter den Altlinken) ganz über den Staat hinauswollten. Sie blieben dann nämlich auf das Gegenteil, den Markt oder seine Systemgesetzlichkeit, abonniert und entkamen somit nicht dem Dualismus von Markt und Staat. 3 Die Antipolitik erkennt, dass sich heute der Ausweg zeigt: dass es möglich, gleichzeitig aber auch um den Preis des eigenen Überlebens notwendig wird, jenseits von Markt und Staat eine „Weltgesellschaft ohne Geld“ (Norbert Trenkle) zu etablieren.
Den GegnerInnen der Politik werden ähnliche Kritikpunkte entgegengehalten werden, wie den FeindInnen der Arbeit (zumindest von Linken): „Eigentlich ist euer Konzept ja gar nicht so übel – aber das, was wir ihr wollt, ist doch auch eine Form von Politik. Wenn ihr euch , anti-politisch‘ nennt, so liegt das nur daran, dass ihr einen zu engen Begriff von Politik habt und wir haben halt einen weiter gefassten etc. pp.“ Dieses oft gutwillig vermittelnd und wohlwollend formulierte Argument stellt jedoch einen entschiedenen Angriff auf die Anti-Politik dar und verdient eine ganz klare und eindeutige Zurückweisung. Hinter ihm steht die Argumentation, dass es sich doch „bloß“ um einen Streit der Begriffe handelt. Das ist jedoch falsch. Ebenso wenig wie die Arbeit ist auch die Politik eine rein logische Abstraktion. Wie bei der Arbeit handelt es sich um eine Realabstraktion. Real wirkungsmächtig und Menschen zurichtend setzte sich die Politik in der menschlichen Gesellschaft mit dem Einzug des Kapitalismus durch und ordnete Menschen ihren Maßstäben unter. Dieser Siegeszug der Politik ist nicht denkbar ohne die brachiale Durchfolterung der Arbeit, ohne die auf Scheiterhaufen durchgesetze bürgerlichpatriarchale Ordnung, ohne die brachiale Gewalt zweier Weltkriege, die die Menschen in den Schützengräben zu „freien“ und „gleichen“ Subjekten deformierte. Die Durchsetzung der Politik ist also ein vielhundertjähriger Prozess oder vielmehr blutig-barbarischer Feldzug gegen die Menschen. Heute ist uns die Politik so in Fleisch und Blut übergegangen, dass es keine Anstrengung mehr kostet, Sätze zu sagen wie, „es gibt kein unpolitisches Leben“, ohne dass sich einer oder einem dabei spontan der Magen entleert. Gerade weil Menschen heute so derartig vernarrt und vernagelt in die Politik sind, können sie nicht mit der bürgerlichen Subjektform brechen, schreien selbst dann noch nach Politik, wo der Staat sich auflöst oder über ihnen zusammenpurzelt (Globalisierungskritik) bzw. nach Arbeit, wo deren Verkauf heute so erfolgreich ist, wie der von Postkutschen. 4 Daher bedeutet befreite Gesellschaft prinzipiell eine Befreiung von Politik. Daher stellt Anti-Politik einen Gegenentwurf zum Politniktum dar.
Antifaschismus
Ausgangspunkt war die Diskussion mit der „Antifa“ – also mit AntifaschistInnen. Es handelte sich dabei um das BGR (Bündnis gegen Rechts) und die RAAL (Rote Antifaschistische Aktion Leipzig), also Gruppen, die gemeinhin unter die Chiffre „autonome Antifa“ gebracht werden. Ihr Antifaschismus war – wie jedweder Antifaschismus – staatsbezogen von Anbeginn. 5 Antifaschismus ist als Begriff an die Situation 1933 bis 1945 gebunden. Er steht als Konzept für eine Situation in der das kapitalistische System zwei Entwicklungswege offen hatte: den deutsch-völkisch-diktatorischen (dafür standen Deutschland, Italien, Japan und ihre Verbündeten) und den westlich-aufgeklärt- demokratischen (wofür entgegen der heutigen offiziellen Geschichtsschreibung besonders die USA, Großbritannien und Stalins Sowjetunion6 standen). In dieser Situation war es richtig, die amerikanische, englische oder sowjetische Uniform anzuziehen und gegen Deutschland in den Krieg zu gehen. An diese Situation knüpfte der Antifaschismus an. Er verteidigte die westlichen Werte in Gestalt der USA oder des Marxismus-Leninismus7 als radikalisiertes Aufklärertum der Sowjetunion rsp. des Kommunismus/Bolschewismus. Antifaschismus war stets auf den Staat bezogen, wollte die Grundordnung gegen noch Schlimmeres verteidigen. Das war in der Nachkriegszeit, als eine relevante faschistische Gefahr noch bestand, absolut sinnvoll. Das verliert aber heute seine Bedeutung, beziehungsweise wird zum sinnlosen Unterfangen, wo die skizzierte Situation nicht mehr besteht. Heute stehen dem kapitalistischen System nicht mehr jene beiden Wege offen. Was ansteht ist sein schrittweiser Untergang. Wofür wir uns zu entscheiden haben: entweder der Barbarisierung taten- und gedankenlos zuzuschauen oder sie durch falsches Handeln in den Formen der Politik zu verschärfen – oder aber diese Formen hinter uns zu bringen.
Die „alte Antifa“ ist dort zu verteidigen, wo sie „autonom“, dort anzugreifen, wo sie antifaschistisch sein wollte. Gegen Nazis agitieren und agieren, überzeugen und argumentieren, demonstrieren und Flugis schreiben, Menschen vor ihnen zu beschützen bleibt dabei das Richtigste was sich tun lässt. Dabei ist nicht auf den Staat zu vertrauen. Der will nichts gegen Nazis und kann nichts gegen Nazis. Jedenfalls zunehmend immer weniger. Dort, wo er noch will und kann, ist er nicht abzuhalten. Aber Vertrauen verdient er dabei nicht. Nicht weil er so schlimm und böse ist, sondern weil er in seiner Krise einfach nicht mehr kann. Warum sollte uns ein Staat, der es nicht mehr auf die Reihe kriegt, für günstige Akkumulationsbedingungen des Kapitals zu sorgen (was seine Hauptaufgabe wäre), uns vor Nazis und anderen durchgeknallten Abdrehern schützen? Das müssen wir dann wohl also selber machen.
Anmerkungen
1 Vgl. Robert Kurz, Gibt es ein Leben nach der Marktwirtschaft?
2 Das war sinnvoll nur in einer bestimmten Periode der kapitalistischen Entwicklung, als die Wahl zwischen einer völkisch-deutschen oder einer westlich-demokratischen Durchsetzung des Kapitalismus stand: grob gesagt: in den dreißiger bis fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts.
3 Bakunin spricht das aus, wenn er von einer geheimen Struktur spricht, die die befreite Gesellschaft lenken soll, ohne sie zu beherrschen, und indem er in seinen Kommunen alle zum Arbeiten verdonnern will. Auch Kropotkin spricht es aus, auch und obwohl Arbeiten bei ihm freiwillig sein soll, wenn er meint, dass das anarchistische Prinzip (die gegenseitige Hilfe im Tier- und Menschenreich) schon in der menschlichen Natur angelegt sei. Man muss dann zwar nicht arbeiten, aber die meisten würden es schon wollen, weshalb es kein Problem sei, wenn einzelne wirklich nicht ihrer Natur entsprechen… Proudhon spricht seine enge Bindung an den Warentausch in seinem „mutualistischen“ (Tauschgerechtigkeits-) Ideal immerhin offen aus. Wer sich aber nicht vom Markt und seiner unsichtbaren Hand lösen kann, der muss rein logisch auch dem Staat verhaftet bleiben und anders herum.
4 Vgl. Krisis: Manifest gegen die Arbeit.
5 Die Formulierung revolutionärer Antifaschismus tut dem keinen Abbruch: erstens ist der Begriff „revolutionär“ gerade nicht so subversiv, wie er oft gemeint und vorgetragen wird. Zweitens war er als Konzept auch nicht so emanzipatorisch, wie es von seinen Apologeten gewünscht war. So kann es streng genommen heute gar kein Bündnis zwischen „Antifaschismus“ und „Emanzipation“ geben – da Antifaschismus bedeutet, sich ans Bestehende zu binden und es gegen die Gegenaufklärung zu verteidigen. In diesem Sinne sind jene, die sich am deutlichsten von „Antifa“ entfernen wollen, nämlich ISF und BAHAMAS, ihr am stärksten verhaftet und zwar nicht weil sie auch mal Politik machen (Israel verteidigen), sondern weil sie klammernd wie eine Schar verängstigter Äffchen an Aufklärung, Subjekt und Ich festhalten.
6 Es ist gewiss ungewohnt, von der Sowjetunion als einem westlichen, aufklärerischen und demokratischen Staat zu sprechen. Ich tue dies auch gar nicht in lobender Ansicht, etwa wie mit dem Hintergedanken, Stalins Verbrechen zu rechtfertigen. Das entscheidend Demokratische und Aufklärerische an Stalins Sowjetunion war, dass er die Russen, Esten, Georgier, Kasachen, Ukrainer etc. in einem westlich geprägten Nationalstaat vereinen wollte; keinen völkischen Gemeinschaftsstaat etablieren wollte, und dass er in strenger Manier der bürgerlichen Natur- und Gesellschaftswissenschaft ein geplantes, wohlgeordnetes und kontrolliertes staatliches Aggregat schaffen wollte – bürgerlicher und aufklärerischer geht’s nimmer.
7 Der zu damaligen Zeiten für entscheidend erachtete angeblich grundlegende Unterschied zwischen „West“ und „Ost“ muss heute vor dem Hintergrund einer fundamentalen Wert-/ Abspaltungskritik als nicht inhaltlicher, sondern lediglich strategisch-geopolitischer Kampf von Gleichen um Einflusssphären gedeutet werden.