„Globalisierung“: Der Imperialismus als Sachzwang

von Herbert Auinger

Die Schwierigkeit bei diesem Thema besteht darin, daß falsche Vorstellungen, Ideologien, interessiert ausgeschlachtete Tatsachen und Hinweise auf die wirkliche Sache ziemlich begriffslos durcheinander geworfen werden.

Zuerst soll deswegen das Schlagwort "Globalisierung" mehr von der ideologischen Seite her rezensiert werden, und dann folgen ein paar Anmerkungen zur Sache, zum polit-ökonomischen Inhalt.

Eine Neuerung im Verhältnis von Staat und Kapital?

Grundsätzlich soll man sich unter "Globalisierung" vorstellen, die Marktwirtschaft, der weltweite Kapitalismus habe sich enorm verändert. Fragt man, worin sich der Kapitalismus verändert habe, sind die Auskünfte im Ton dramatisch, inhaltlich aber einigermaßen dürr. So ziemlich jeder Globalisierungstheoretiker fängt damit an, daß wir es neuerdings mit dem Weltmarkt zu tun haben — bloß bevölkern den seit Jahrzehnten dieselben Figuren: Warenexporteure und -importeure, Kapitalexporteure und -importeure, das internationale Finanzkapital, und natürlich die Staaten, zwischen denen das Geschäft läuft und als deren Handels- und Zahlungsbilanzen es verbucht wird. Da ist nichts Neues hinzugekommen. Dramatisch wird es, wenn Globalisierungstheoretiker auf ihre Entdeckungen hinweisen: Das alles ist viel mehr und viel größer geworden. Es sind jetzt riesige Kapitalmassen unterwegs, die bewegen sich in Sekundenschnelle, nicht bloß innerhalb eines Marktes, sondern durch die ganze Welt. Das läßt "die Märkte zusammenrücken", es entsteht ein "globales Dorf" — und am Schluß ist die "Ökonomie internationalisiert" und der Noch-Immer-Nationalstaat deswegen "zur Ohnmacht verurteilt".

Es ist zu fragen, worin das Problem liegen soll. Hat man nicht immer erzählt, Wachstum wäre das Entscheidende beim Kapitalismus, und für dieses Wachstum sei die Freiheit des Welthandels unabdingbar, "offene Märkte", auch sichere Transportwege, bessere Kommunikationsmittel und schnellere Informationsübermittlung? Jetzt ist der Weltmarkt dauernd gewachsen, der frühere Ostblock und China gehören dazu, der Kapitalismus war und ist also erfolgreich — und darüber soll alles irgendwie anders geworden sein? Durchaus, behaupten Globalisierungstheoretiker, und mit der "Entmachtung des Nationalstaates" geben sie an, worauf sie hinauswollen: Das riesige internationale Kapital macht es dem Staat schwer. Er muß etliches unternehmen, Kapital anzulocken bzw. es bei sich zu behalten. Es ist nicht mehr selbstverständlich, daß ein "nationales" Kapital im jeweiligen Staat prosperiert, von diesem seinem Standort erst einmal auch abhängig ist und dann auf Basis seiner heimatlichen Erfolge außerhalb Geschäftsgelegenheiten wahrnimmt — sondern es agiert von vornherein weltweit. Kapital erscheint in diesen Bildern wie eine anonyme Macht, der jeder Staat unterworfen ist, eine Macht, die ihn zur Ohnmacht verurteilt. Das ist aber in der Regel nur die erste Hälfte dieser Botschaften, im nächsten Moment ist es mit dieser staatlichen Ohnmacht nicht mehr so weit her: Da soll der Staat mit all seiner Macht die "Herausforderung der Globalisierung" durchaus meistern. Er soll sich keineswegs auf den Standpunkt stellen, daß das neuerdings nun einmal so sei mit dem Kapitalismus und "als Nationalstaat" dann eben abdanken. Seine Macht nach innen soll er nutzen, und das tut er in der Regel nicht zu knapp. Unter dem Titel "Globalisierung" macht er sich daran, seine Gesellschaft umzuwälzen. Die Folgen sind bekannt und ziemlich ungemütlich: Das nationale Lohnniveau wird umfassend gesenkt; die Pensionen gehen runter; die Gesundheit wird teurer, mehr (Öko! )Steuern sind zu zahlen usw. usf. — und bei allem kommt heraus, daß die Arbeitslosigkeit wächst und noch weiter wachsen wird. Subventionen, Steuererleichterungen, im EU-Verbund ein kämpferisches Auftreten in der Welthandelsorganisation WTO gegen die USA ergänzen die Verbilligung des "Faktors" Arbeit um die direkte Unterstützung des kostbaren Kapitals.

Mit dem Kampfruf "Globalisierung" legen Staaten ein Bekenntnis zur weltweiten Freiheit des Kapitals ab. Einerseits tut jeder Staat so, als wäre er diesem Kapital bloß unterworfen, als würde ihm dieses Maßnahmen aufzwingen. Andererseits liegt es dann doch wieder bei ihm, daß und welche Maßnahmen er ergreift, um in der "Globalisierung" zu bestehen, um sich in der Konkurrenz der Nationen durchzusetzen. Diese Entscheidung überläßt kein Staat dem freien Wirken des Kapitals, dem gnadenlos unparteiischen und gerechten Urteil "der Märkte"; vielmehr greift er massiv ein, und der Weltmarkt ist bevölkert von lauter solchen Nationalstaaten, die für sich und gegeneinander ihren Erfolg suchen. Diese Konkurrenz der Nationen dreht sich natürlich nicht darum, wer dem Volk am meisten bieten kann, wo es den Leuten am besten geht — diese Idee hält der moderne Mensch eher für abseitig —, sondern wer den größten Kapitalerfolg vorweisen kann. Für diesen Erfolg wird das Volk als Mittel eingespannt. Seine Billigkeit und seine Anspruchslosigkeit ist verlangt und wird erzwungen. Unter dem Schlagwort "Globalisierung" wird das Volk kritisiert. Es hat sich viel zu gemütlich eingerichtet, es ist verwöhnt, es hat sich an "Besitzstände" und "wohlerworbene Rechte" gewöhnt, die abgeschafft werden müssen — daß nicht der Besitz der wirklich Besitzenden gemeint ist, sollte klar sein. Das Volk hat seine Nation in Schwierigkeiten gebracht, und das muß gründlich geändert werden — dafür stehen berühmte Schlagworte wie "Verkrustung", "Erstarrung", "Reformstau" bzw. "Modernisierung". Gleichzeitig wird manchmal der Eindruck erweckt, daß das letztlich alles nur "für uns" unternommen würde, irgendwann und irgendwie sollte es sich auszahlen. Wenn "wir" erst einmal die Konkurrenz auf dem Weltmarkt gewonnen haben … Eine glatte Lüge: Als Mittel in der Konkurrenz der Nationen benutzt zu werden, schließt nun einmal das eigene Wohlergehen aus. Außerdem wird diese Lüge zunehmend von ihren Erfindern aus dem Verkehr gezogen, und durch den Hinweis ergänzt bzw. ersetzt, daß die Lage nun einmal so sei, und es zum Bestehen unter den Bedingungen der globalisierten Wirtschaft ohnehin keine Alternative gibt, koste es die normalen Menschen, was es wolle.

Nach dieser Seite handelt es sich bei "Globalisierung" um eine Sachzwang-Ideologie. Der Staat gibt vor, ihm wäre sein Handeln von außen vorgeschrieben, er wäre ein Getriebener fremder Mächte und Märkte. Dabei existiert diese "Abhängigkeit" vom "internationalen Finanzkapital" nur, insofern jeder Staat längst bei sich dafür gesorgt hat, daß es um das Wachstum des Kapitals zu gehen hat. Jeder Kapitalismus ist ein nationalstaatliches, ein politisches Projekt, das kann man auch den östlichen "Reformstaaten" entnehmen, wo keine Kapitalistenklasse eine Revolution gemacht hat, sondern wo die politischen Instanzen mit ihrer eigenen "Planung und Leitung" unzufrieden waren und das — bei der Ausbeutung! — zweifellos überlegene westliche System einführen wollten. Die mit "Globalisierung" skizzierte staatliche Ohnmacht ist bloß der Auftakt dazu, machtvoll das Volk mit Zumutungen zu überziehen. "Globalisierung" fordert zwingend Schlechterstellung, daran führt ab sofort kein Weg mehr vorbei. Rückblickend wird die Existenz, die ein hiesiger Lohnarbeiter und seine Familie früher hatten, richtiggehend verklärt, zu einem halben Paradies auf Erden. Ein Leben lang mit der Arbeit oder der Arbeitslosigkeit zurechtkommen und sich das immer knappe Geld einteilen müssen, dabei sich mit einer strapazierten Gesundheit herumschlagen — das ist das Höchste, was sich der Normalmensch erwarten kann in diesem System. Und das ist heutzutage zuviel des Guten, behauptet "Globalisierung", das kann sich unsere tolle Marktwirtschaft nicht mehr erlauben. Auf ihre Weise stellen auch Globalisierungstheoretiker klar, daß dieses System und das Wohlergehen der Normalmenschen in Widerspruch stehen.

Eine Bedrohung durch die Spekulation auf Habenichtse?

Die Währungs- und Finanzkrise in Südostasien vor zwei Jahren steht prototypisch für die ausgemalten "Gefahren der Globalisierung"; sie hat dieses Schlagwort dann auch mächtig popularisiert. Diese Krise hat in der Tat in den imperialistischen "Zentren" einige Sorge hervorgerufen. Daß die Staaten dort unten Probleme haben, ist eine Sache — wenn aber die Banken aus den Metropolen des Kapitalismus in Schwierigkeiten kommen, dann ist womöglich das Ganze Weltfinanzsystem gefährdet, dann geht womöglich der weltumspannende internationale Kredit den Bach hinunter. Also haben die kapitalistischen Führungsstaaten, die "G-7", Handlungsbedarf gesehen. Sie unterhalten längst eine gemeinsame Währungs- und Kreditbehörde, den IWF, der erhielt wieder einmal einen Auftrag. Er sollte den bankrotten südostasiatischen Staaten neuen Kredit gewähren. Manchmal wird so getan, als ob diesen Staaten vom IWF "geholfen" wird, aber das "entlarvt" sogar die normale Öffentlichkeit. Diese Staaten bekommen Kredit nur unter den berüchtigten IWF-Auflagen. Mit diesem Kredit ihrer Wirtschaft helfen dürfen sie nicht; der Kredit ist dafür reserviert, ihre Auslandsschulden zu bedienen. Der IWF und seine Auftraggeber wollen, daß die Kapitalflucht nicht zu dramatisch ausfällt, denn das würde zu immer n Verlusten führen. Wenn aber die internationalen Anleger sehen, daß ihre Kredite weiter bedient werden, via IWF-Zuschüsse, dann fassen sie neues Vertrauen, dadurch werden diese Kredite wieder sicherer und Verluste werden hoffentlich vermieden. Das hat Kritik hervorgerufen, in der Öffentlichkeit, sogar in den Parlamenten: Spekulanten schieben ihre Gelder in der ganzen Welt herum, das Ganze ist hochriskant, und wenn sie dabei vom Bankrott bedroht sind, erwarten sie wie selbstverständlich, daß ihnen die Staaten — manchmal auch "die Steuerzahler" genannt — ihre Verluste ersetzen. Sie erpressen also die Staaten und seien keine ordentlichen Kapitalisten, denn die tragen bekanntlich — hört man immer wieder — ihr finanzielles Risiko selber, im Unterschied zum "Arbeitnehmer", der ohne solche Sorgen fröhlich in den Tag lebt … Die Frage, die also bei solchen Anlässen aufkommt, besteht darin, ob Spekulanten das dürfen, oder ob ihr "unverantwortliches" Verhalten nicht beschränkt werden sollte. Die korrekte Antwort lautet, daß Spekulanten das dürfen und sollen, weil die kapitalistischen Führungsstaaten ihr Verhalten nicht als unverantwortlich ansehen, sie vielmehr dazu ermächtigt haben, die Voraussetzungen dafür geschaffen haben. Unter anderem durch die "Konvertibilität" der Währungen.

Globalisierung praktisch: Konvertibilität

Damit ist zunächst die freie Umtauschbarkeit der Währungen gemeint, und das ist keine Selbstverständlichkeit. Jeder Staat produziert bekanntlich sein eigenes Geld. Dieses Geld stellt für jeden Bürger verbindlich den Reichtum seiner Nation dar, und in diesem Geld wird die Vermehrung des Reichtums gemessen. Alles Wirtschaften muß sich in eine Geldsumme verwandeln und erfolgreich war das Wirtschaften nur, wenn die im Verkauf erzielte Geldsumme größer ist als die für die Herstellung des Produkts vorgeschossene Geldsumme. Dieses Wirtschaften findet nicht nur innerhalb der eigenen Grenzen statt, die Kapitalisten agieren grenzüberschreitend: Sie wollen und sollen am Reichtum anderer Nationen mitverdienen. Das wirft das Problem auf, in welchem Geld diese Käufe und Verkäufe abgewickelt werden sollen. Wenn die Firmen Magna, Steyr oder Chrysler Produkte im Ausland verkaufen, lassen sie sich in Dollar, D-Mark und bald in Euro bezahlen; genommen werden noch Franken, englische Pfund und ein paar Währungen; was ist, wenn nach Bolivien oder Ägypten geliefert wird? Wird der bolivianische Peso oder das ägyptische Pfund akzeptiert? Natürlich nicht — auch von solchen Käufern wird "echtes Geld" verlangt. Es gibt zirka 150 Staaten, von denen fast jeder seine eigene Währung hat — aber nur ganz wenige Gelder zählen auf dem Weltmarkt wirklich. Wirkliches Geld ist nur eines, das international verwendet werden kann, das also den Sprung über die eigenen Grenzen geschafft hat. Es existiert damit eine sehr grundsätzliche Scheidung der Staatenwelt und ein kleines Rätsel: Nur wenige Staaten verfügen über international taugliches, in diesem Sinn echtes Geld — aber alle sind in den Welthandel eingespannt.

Der Geschäftsverkehr zwischen den Kapitalisten zweier Nationen ist einfach, wenn in Gold bezahlt wird. Jede Währung hat einen Goldkurs und überall gilt Gold als Reichtum, mit Gold wird aber nicht mehr bezahlt. Die Staaten haben im Inneren das Gold als Zahlungsmittel außer Kraft gesetzt, statt dessen zirkulieren Banknoten, gesetzliche Zahlungsmittel, und alles dreht sich um deren Erwerb. Damit die Kapitalisten zweier Nationen miteinander verkehren können, müssen sich die Staaten eine Art von Vertrauensvorschuß erweisen: Sie müssen wechselseitig ihre nationalen gesetzlichen Zahlungsmittel als international gültige anerkennen. Sie tun so, als wären all diese Gelder gelungene und gleichberechtigte Darstellungen und Mittel der Reichtumsvermehrung. Das heißt "Konvertibilität". Es gäbe keinen modernen internationalen Handel, keinen Weltmarkt, hätten sich nicht die Staaten darauf geeinigt, daß ihre Gelder, die ihrer Hoheit unterliegen, ineinander aufgehen können. Jeder Staat will damit seinen Kapitalisten mit ihrem daheim verdienten nationalen Geld den Zugriff auf den auswärtigen Reichtum ermöglichen, ihnen die ganze Welt "öffnen", sie sollen auf dem Weltmarkt verdienen können, um auch so den nationalen Reichtum zu vermehren — dafür muß der Staat umgekehrt den auswärtigen Kapitalisten dieselbe Möglichkeit bei sich einräumen. Staaten mit ihren Nationalökonomien konkurrieren um den weltweiten Reichtum — sie machen ihre Währungen untereinander konvertibel, um sich jeweils an den anderen bereichern zu können. Die Staaten agieren auf dem Weltmarkt nach dem Muster von Privateigentümern; sie konkurrieren, was bedeutet, sie schließen einander auch aus. Das Resultat ist bekannt: Der Handel zwischen den Staaten gleicht sich nicht aus, es gibt Gewinner und Verlierer. Die Reichtumsproduktion der Verlierer ist unterlegen, also repräsentiert auch ihr Geld bald weniger Reichtum. Im Außenhandel merken sie das, indem sie für die Währung eines Gewinnerstaates immer mehr vom eigenen Geld hinlegen müssen, bzw. indem die "weiche" Währung gar nicht mehr genommen wird. Für den Gewinnerstaat heißt das auch, daß das Geld, das er beim unterlegenen Staat verdient, für ihn immer weniger wert ist, es ist einer kontinuierlichen Abwertung unterworfen. Das ist durchaus für beide Staaten ein Problem. Allerdings erst, wenn dieser Zustand sich als dauerhafter herausstellt. Für zwischenzeitliche Schwankungen gibt es einen Staatsschatz, damit der internationale Handel funktioniert. Dieser "Schatz" besteht heutzutage aus Devisen, also aus den Währungen anderer Staaten; Gold findet sich auch darin. Devisen bekommt ein Staat, wenn seine Kapitalisten im Ausland verdienen und das verdiente Geld bei ihm in die heimische Währung umtauschen — seine Devisenreserven stellen also einen Konkurrenzerfolg dar. Andererseits muß er seinen Kapitalisten, wenn sie im Ausland kaufen wollen, die eigene Währung in die fremde umtauschen. Ausländischen Kapitalisten wiederum, die bei ihm verdient haben, muß er ebenfalls die eigene Währung in ihre heimische umtauschen können.

Zum Problem wird die Sache, wenn ein Staat mit seiner Wirtschaft immerzu unterlegen ist, dann braucht er seinen Schatz auf, die Abflüsse sind immer größer als die Zuflüsse. Mit dem Geld, das er sich selber druckt, kann er nicht bezahlen, weil das immer wertloser und immer weniger akzeptiert wird. Die Annahme liegt nahe, daß damit auch Schluß mit der Konvertibilität ist, bzw. zumindest das faktische Austauschen entfällt, wenn eine Währung international nicht mehr genommen wird — und das war früher durchaus so. Wenn die Devisen weg waren, mußte mit Gold bezahlt werden, wenn dieses Gold zur Neige ging, wurde der Handel eingeschränkt und sogar abgebrochen. Der Weltmarkt wurde eröffnet und wieder unterbrochen bzw. zurückgefahren. Die moderne Konvertibilität läßt das nicht zu. Seit dem Zweiten Weltkrieg, nachdem die USA ihre Weltwirtschaftsordnung eingerichtet haben, stellt Konvertibilität den Zwang zum Weitermachen dar. Einerseits treten sich nationale Gelder formell gleichberechtigt gegenüber, es stellt sich darüber heraus, daß die allermeisten Gelder verlieren, schließlich ruiniert sind, aber die Staaten, die diese Gelder produzieren, fallen nicht aus dem Weltmarkt heraus. Die Gewinnerstaaten erlauben das nicht. Den Zwang zum Weitermachen etablieren sie, indem sie die ganze Welt mit ihrem Kredit überziehen, was mit einer Hilfe für die unterlegenen Staaten nicht zu verwechseln ist.

Geld und National-Kredit

Jede moderne kapitalistische Ökonomie beginnt mit Geld in Form von Zentralbanknoten. Diese Geld-Zettel üben einen handfesten Zwang aus, weil hinter ihnen die Staatsgewalt steht. Die Staatsmacht verpflichtet ihre Untertanen darauf, daß sich jede ökonomische Tätigkeit auf den Erwerb dieses Geldes richtet. Sie sind "gesetzliches Zahlungsmittel" — alles, was man zum Leben und zum Produzieren braucht, setzt den Besitz dieser Zettel voraus. Sie sind der gesellschaftliche Reichtum. Sie stellen Wert dar, denn mit ihnen, aber auch nur mit ihnen kommt man an die Waren heran, die den Kapitalismus bevölkern; umgekehrt muß sich jede ökonomische Tätigkeit, will sie als solche gelten, in Geld niederschlagen — ein Produkt, für das man nicht Geld bekommt, ist wertlos, Arbeitskraft, die keinen Käufer findet, ernährt ihren Besitzer nicht. Vermehrung des Reichtums — in privater Hand als auch für die ganze Nation — liegt nur vor, wenn sich dieses Geld vermehrt. Aber nicht, indem der Staat einfach mehr davon druckt; wie jeder weiß, verliert es dann seinen Wert. Das Geld muß von Privatleuten in eine Produktion gesteckt werden, dabei müssen Produktionsmittel und menschliche Arbeit kombiniert werden. Geld und Eigentum haben diese zwei Bestandteile sehr gründlich geschieden, deswegen müssen sie immer neu kombiniert werden: Es gibt die Geldbesitzer, die über die Produktionsmittel verfügen, und andere, die ihre Arbeitskraft, also etliche Stunden am Tag sich selbst verkaufen müssen, weil sie sonst nichts haben. Weil sie arbeiten, reicht ihr Geld nie — weswegen sie lebenslang arbeiten müssen. Der Geldbesitzer hingegen, der Produktionsmittel und Arbeit kombiniert, hat daraus einen Ertrag. Egal, welche komischen Ideen im Zeitalter der "Finanzdienstleistungen" und "Derivate" über das Geld in der Welt herumlaufen, die elementare Bestimmung des Geldes ist: Geld ist Zugriff auf fremde Arbeit — und diese Arbeit vermehrt wieder das Geld dessen, der zugreift. Der Einwand, Geldbesitzer könnten auch scheitern und ihr Geld verlieren, zählt nicht. Das heißt nur, daß andere aus derselben Klasse effizienter auf Arbeit zugegriffen und damit in der Konkurrenz gewonnen haben.

Das Geld kommt in die Gesellschaft, nachdem der Staat es gedruckt hat, aber er verteilt es natürlich nicht an der Straßenecke. Dieses wertvolle Gut vertraut er Fachleuten an, die in den Banken sitzen. Banken sind die ökonomischen Agenturen im Kapitalismus, die am genauesten beurteilen können, wo Geld zum Zwecke der Vermehrung am besten angelegt ist; sie sind das innere Band im gesamten kapitalistischen Geschäftsverkehr. Das fängt damit an, daß sie Geldüberschüsse, die im Kapitalkreislauf entstehen, aufbewahren und verzinsen — die Spargroschen des kleinen Mannes nehmen sie auch gern entgegen; dann vermitteln sie den gesellschaftlichen Zahlungsverkehr; und schließlich — ihre bedeutendste Leistung — wäre ohne sie die beständige Ausdehnung des Geschäfts nicht möglich. Sie geben den Industriellen und den Handelskapitalisten Kredit, und der ist unentbehrlich für das Wachstum des Kapitals. Zum einen sorgt er dafür, daß ein Unternehmen sich von seiner momentanen Liquidität unabhängig machen kann — eine Stockung im laufenden Geschäftsverkehr, bloß weil Einnahmen und Ausgaben aktuell nicht zusammenpassen, wird verhindert. Zum anderen kann man mit einem Kredit sein Geschäft erweitern, eine Investition vornehmen, ohne die Mittel dazu vorher verdient zu haben. Ein Unternehmen vergrößert sich mit diesem Fremdkapital, um anderen Unternehmen Marktanteile abjagen zu können — und es kann das um so besser, je mehr Kredit ihm zur Verfügung steht.

Die Kritik im Zusammenhang mit den Gefahrenmomenten der "Globalisierung" lautet, daß heutige Spekulanten an "überhitzten Börsen" ein "unverantwortliches" Casino-Gehabe an den Tag legen. Bloß hat man es beim normalen, beim nicht spekulativen Kredit ebenfalls schon mit einer Spekulation zu tun! Er wird vergeben mit der Kalkulation auf einen künftigen, erst mit seiner Hilfe zu erwirtschaftenden Ertrag. Mit ihm soll ein neues Geschäft — eine Produktion, ein Landkauf, ein Warenexport usw. — überhaupt erst angestoßen werden, weil das nötige Geld gerade nicht vorhanden ist, und aus dem künftigen Erfolg dieses Geschäftes soll der Kredit bedient werden. Der Kredit ermöglicht neue Geschäfte und er ist auf sie und den Ertrag daraus angewiesen. In ihrer Kreditvergabe ist eine Bank damit abhängig vom Geschäftserfolg ihrer Kundschaft, und davon wird ihre Kreditvergabe dann auch wieder beschränkt. Diese Beschränkung hebt der Staat auf seine Weise auf, und zwar mit seiner "Refinanzierung" und "Geldversorgung". Wenn die Bank einen Kredit vergeben hat, hat sie anschließend das Recht, ihre Kreditforderung, die sie gegenüber ihrer Kundschaft hat, bei der Zentralbank einzureichen; und bekommt dort ein entsprechendes Guthaben, das sie bei Bedarf auch in Bargeld umwandeln kann. Den Abfluß, der ihr durch den Kredit entsteht, bekommt sie ersetzt — "Refinanzierung". Das gesetzliche Zahlungsmittel ist das "Schmiermittel" einer im Prinzip grenzenlosen politisch angeleierten Kreditvergabe, das staatliche Geld ist dafür da, diesen Kredit ausdehnen zu können.

Ist diese "Geldversorgung" nicht völlig unsolid? Die sachgerechte Antwort darauf lautet, daß das ganz darauf ankommt. Der Staat setzt mit der Freisetzung des Kredits darauf, daß dadurch möglichst viel profitable Geschäfte in Gang kommen. Ob die Sache nun solide oder unsolide wird, hängt davon ab, ob die privaten Geschäftsleute mit Hilfe dieses Kredits tatsächlich Geschäfte ankurbeln, ob sie also Wachstum produzieren, ob sie Geld verdienen, aus dem sie den Kredit bezahlen können. Erst daran zeigt sich, ob der Kredit und die staatliche "Geldversorgung" wachstumsstiftend waren. Mit der Freisetzung des Kredits will der Staat das aber auch, er unterwirft seine Gesellschaft damit einem Auftrag: Sein gesetzliches Zahlungsmittel ist sozusagen nur vorläufiges Geld, eine Art Vorschuß, und soll über Kreditvergabe und gewinnbringende Produktion zu richtigem, "hartem" Geld gemacht werden.

Das Geld kapitalistischer Nationen ist eine eigentümliche Mischung aus einem staatlichen Druckerzeugnis, refinanziertem Kredit und echtem, kapitalistisch verdientem Geld, es wird daher ständig auf seinen Wert begutachtet und oft angezweifelt. In der Konvertibilität anerkennen die Staaten sich wechselseitig ihre "Zettel" und auch die damit gesponsorte Kreditmacherei als Geld. Dabei stellt sich heraus, daß die Gelder unterschiedlichen Wert haben; die Freisetzung des Kredits bewährt sich in den Nationen unterschiedlich; viele Gelder werden im Ausland gar nicht mehr genommen. Im internationalen Vergleich wird herausgefunden, wo sich der nationale Kredit wirklich in Geld verwandelt hat. Die, die das herausfinden, sind die Banken, das Finanzkapital. Das sind sie national, wenn sie über die Vergabe von Krediten entscheiden, und international, wenn sie weltweit alle Geldanlagen vergleichen und sich quer durch die Welt darin anlegen. An ihren Anlageentscheidungen kann man ablesen, was "gutes Geld" ist. "Globalisierung" ist die weltweite Herrschaft des Kredits, weil ihn die Staaten dazu ermächtigen.

"Globalisierung": Moderner Imperialismus

Früher war der Weltmarkt bekanntlich eine gewaltsame Angelegenheit. Die restliche Welt wurde von den imperialistischen Staaten erobert, Kolonien wurden eingerichtet, um Kolonien wurden Kriege geführt. Für diese längst überwundenen Verfahrensweisen haben sich die Begriffe Kolonialismus und Imperialismus eingebürgert. Moderner Imperialismus geht anders.

Kapitalistische Staaten verpflichten ihre Gesellschaften auf Gelderwerb und Geldvermehrung. Diesen Zwang globalisieren sie. Sie erzwingen bzw. erlauben den freien Austausch von nationalen Geldern. In diesem Austausch stellt sich heraus, wieviel an kapitalistischer Wirtschaftskraft hinter jedem dieser Gelder steckt, was ein Geld international wert ist. In diesem Austausch vergleichen sie ihre kapitalistische Leistungskraft. Der Wert eines Geldes erweist sich in letzter und entscheidender Instanz daran, ob und wieviel Reichtum eine Nation aus dem Weltmarkt herausziehen kann, wie sehr sie sich an anderen Nationen bereichert — und das ist das glatte Gegenteil aller harmonischen Vorstellungen von "internationaler Arbeitsteilung". So geht Imperialismus heute, es wirkt eine andere, früher hätte man gesagt "strukturelle" Gewalt. Der ganze Erdball ist bestimmt vom Zwang der Konkurrenz ums Geld. Spätestens seit die Sowjetunion ihre alternative Wirtschafts- und Staatsräson aufgegeben hat, und seit China sich dem Weltmarkt anschließen will, kann sich kein Staat diesem Zwang wirksam verschließen. Die nach dem Ende des Kalten Krieges geklärte und entschiedene globale militärische Gewaltfrage ist die Voraussetzung und bleibende Grundlage dieser globalen Weltwirtschaftsordnung. Kolonien gibt es nicht mehr, statt dessen lauter unabhängige Staaten, die sich am Weltmarkt beteiligen müssen. Das ist vielen nicht gut bekommen, ihre Gelder sind ruiniert und ihr Reichtum landet auch ohne territoriale Besetzung und Kolonialstatus bei den Gewinnerstaaten.

Die Welt besteht aus einigen wenigen Staaten, die über harte Währungen verfügen, und dem großen Rest, der nichts zu melden hat. Diesen großen Rest machen die erfolgreichen Staaten nicht wieder zu Kolonien, sie schmeißen ihre "Hinterhöfe" auch nicht aus dem Weltmarkt hinaus — sie geben ihnen vielmehr Geld. Das ist die "friedliche", "strukturelle" Gewalt, das Geld wird nämlich als Kredit gegeben. Damit befinden sie sich in der Abhängigkeit von den imperialistischen Staaten. Ihre gesamte ökonomische Leistung kürzt sich darauf zusammen, einen ständig wachsenden Schuldenberg zu bedienen; alles, was sie je produzieren werden, ist schon längst auf immer und ewig verpfändet, sie liefern ihre Waren ab zu Preisen, die nicht sie bestimmen, sondern die Abnehmer, und die Exporterlöse gehören ihnen längst nicht mehr, wenn sie überwiesen werden.

Die erfolgreichen imperialistischen Staaten konkurrieren, aber in dieser Konkurrenz hüten sie auch eine Gemeinsamkeit: Sie achten darauf, daß das weltweite Kreditsystem als Ganzes nicht gefährdet wird — schließlich ist es ihr Herrschaftsmittel. Wie man nicht nur an der Finanzkrise in Südostasien gesehen hat, ist das Verfahren immer dasselbe: Wenn irgendwo der Kredit zu platzen droht, eine weltweite Erschütterung auszulösen droht, weisen die G7-Staaten IWF und Weltbank an, die Krise zu bekämpfen. Die bewerkstelligen das, indem sie neuen Kredit schaffen. Der ersetzt den kaputtgegangenen Kredit zwar nicht vollständig, ermöglicht aber die teilweise Weiterbedienung der Schulden, rettet also immer wieder das Kreditsystem. Die ihnen vertraute innerstaatliche "Geldversorgung" betreiben diese führenden Staaten eine Ebene höher, in ihrem exklusiven Club. Vom Boden der imperialistischen Staaten geht eine globale "Geldversorgung" los, und es geht darum, möglichst viel der damit angestoßenen Erträge an sich zu ziehen, mit ökonomischen Mitteln, indem in der eigenen Währung die meisten Geschäfte gemacht werden.

Der Wert der Gelder wird von denen ermittelt, die den ganzen Tag lang Geldanlagen vergleichen — von den Spekulanten. Daran, welchem Geld sie ihr Vertrauen geben und welchem sie es entziehen, kann man sehen, wie die Nationen relativ zueinander stehen — das ergibt die geläufige Hierarchie der Nationen. Das internationale Finanzkapital ist sozusagen der Schiedsrichter. Der höchste und abstrakteste Maßstab ist der Wechselkurs einer Währung — und dieser Maßstab entscheidet über Wohl und Wehe ganzer Volkswirtschaften. Das kann das Finanzkapital deswegen, weil die Staaten den Vergleich der Währungen wollen, weil sie das Finanzkapital dazu "eingesetzt" und ermächtigt haben. Die ökonomische Konkurrenz der imperialistischen Staaten spitzt sich zu auf die eine Frage, wer das härteste Geld hat, wer sich das Vertrauen des internationalen Finanzkapitals auch gegen die anderen sichern kann. Dieses "gegen die anderen" tritt immer mehr hervor. Nach dem zweiten Weltkrieg gab es nur den Dollar als internationales Geld. Seither sind vier, fünf Währungen dazugekommen, die sich den Weltmarkt erschlossen haben. Diese Gemeinsamkeit ist nicht — noch nicht — gebrochen, aber daneben und darunter herrscht ein erbitterter Verdrängungswettbewerb, die "Globalisierung". Sie bedeutet, die imperialistischen Staaten bekennen sich zum Weltmarkt, der ist das Feld ihrer Konkurrenz, und alles kommt darauf an, die anderen auf diesem Feld zu schlagen. "Globalisierung" ist der Kampf um das härteste Geld.

Die europäischen Staaten beseitigen die Währungskonkurrenz untereinander und schließen sich zu einem Euro-Geld zusammen. Der Zweck wird klar benannt; damit wollen sie dem Dollar als ebenbürtiger Konkurrent gegenübertreten. Zugleich erweitern diese Staaten ihre Macht, indem sie sich etliche Oststaaten angliedern. Für die Nationen nach innen bedeutet das, daß sie umgekrempelt werden, um diese ökonomische Konkurrenz der Nationen zu gewinnen: Das ist "Standortpolitik". Es geht um den Nachweis — auch und gerade gegenüber den Finanzmärkten —, welche Staatsgewalt die effizientesten Produktionsbedingungen, den effizientesten Gebrauch ihres Geldes herbeiregieren kann. Staaten finden, daß der Lohn zu hoch ist, daß soziale Leistungen nur verwöhnen, daß Geld für die internationale Konkurrenzfähigkeit des Kapitals reserviert sein soll. Das Volk hat sich vorwerfen zu lassen, daß es zuviel kostet und zu wenig leistet. Das ist kein ideologischer oder moralischer Vorwurf, er wird von den europäischen Staaten praktiziert und mit immer neuen Gesetzen durchgezogen. Je billiger und je erpreßbarer das Volk ist, desto besser steht die Nation in der internationalen Konkurrenz da. Diese Lehre ist "global", sie wird von allen kapitalistischen Staaten beherzigt.

Sachzwang "Globalisierung"? Unbedingt — einer, den die erfolgreichen imperialistischen Staaten selbst eingerichtet haben und den sie wollen. In den Spekulationen des Finanzkapitals stellt sich heraus, welchen Erfolg die Nation für sich verbuchen kann. Es geht um nicht anderes als das global taugliche Geld, und Land und Leute werden dafür hergerichtet. Falls jemandem das alles nicht paßt und die "Macht der Banken und Spekulanten" gebrochen werden soll: Diese Adresse ist nicht ganz die richtige. Zumindest nicht die einzige. "Globalisierung" ist der Anspruch der erfolgreichen kapitalistischen Nationen, den Rest der Welt mit ökonomischen Mitteln zu beherrschen und zu benutzen, und der Anspruch, daß der eigene "Standort" dieses ökonomische Mittel aber auch hergeben muß, daß mit viel rentabler Arbeit für wenig Lohn die Härte einer Währung geschmiedet werden muß, die international als Waffe taugt.

    Herbert Auinger ist freier Autor.

Anmerkung

Zum Nachlesen: Die wöchentliche Analyse vom „GegenStandpunkt“-Verlag.