Die Parteiwut
von Jonathan Swift
Der Doktor schlug ferner vor, jeder Abgeordnete einer Nationalversammlung solle, nachdem er seine Meinung ausgesprochen und verteidigt habe, gezwungen werden, seine Stimme für die entgegengesetzte Meinung abzugeben. Geschehe das, so werde das Resultat unfehlbar zum Vorteil der Allgemeinheit ausfallen. Wenn die Parteiwut in einem Staat zu heftig wird, so sei ein wunderbares Mittel anzuwenden, damit der Friede wiederhergestellt werde. Die Methode ist folgende: Man nimmt ungefähr hundert Führer von jeder Partei und stellt sie paarweise, nach Ähnlichkeit ihrer Schädel, auf. Alsdann sägt ein geschickter Operateur die Schädel eines jeden Paares zur gleichen Zeit und in solcher Weise ab, daß er die Gehirne auf die gleiche Weise teilt. Alsdann werden die abgesägten Teile des Hirnschädels vertauscht, indem jeder dem Kopf seines Gegners angefügt wird. Allerdings scheint dieses Verfahren einige Geschicklichkeit zu erfordern. Der Professor versicherte uns jedoch, der Erfolg sei unfehlbar, wenn die Operation nur geschickt ausgeführt werde. Seine Schlußfolgerung war diese: Da die beiden Gehirne dann in einem Schädel die Sache unter sich ausmachen, werden sie sich bald gegenseitig verständigen und dadurch jene Mäßigung und Regelmäßigkeit im Denken bewirken, die in den Köpfen derjenigen so sehr zu wünschen wäre, die einzig zu dem Zweck auf die Welt gekommen zu sein glauben, deren Bewegung zu überwachen und zu lenken. Was nun den qualitativen und quantitativen Unterschied der Gehirne der Parteiführer betrifft, so versicherte uns der Doktor aus eigener Erfahrung, daß dieser völlig belanglos sei.
(aus: Jonathan Swift, Gullivers Reisen (1726), Berlin(Ost) 1985, S. 208.)