von Franz Schandl
Der Großteil der wirtschaftlichen Tätigkeit hat mit Produktion und Dienstleistung nichts zu tun, er folgt ausschließlich geschäftlichen = monetären Erfordernissen. Der Großteil der Arbeit gehorcht nicht nur der Geldreligion, er gehört selbst dem Religionsdienst an. Rechnungen sind Gebetszettel und Bilanzen sind Gebetsbücher dieser seltsamen aber militanten Kommunikationsform.
Denn um Brot oder Kuchen zu produzieren, brauchen wir kein Geld, wir brauchen Mehl, Wasser, Zucker, Milch Butter, Nüsse, vielleicht Safran. Nicht so im Kapitalismus. Da ist die Kostenfrage unumgänglich, auch wenn kein Gramm des Geldes in den Stoff einzudringen versteht. Kurzum: Wirklich wird nicht, was möglich ist, real wird erst das, was bezahlbar ist. Der Kosmos der Wirtschaft sind nicht Menschen und deren Bedürfnisse, sondern folgt der Logik von Geld und Ware.
Was wir beobachten ist die Dichte, ja zunehmenden Verdichtung der Matrix diverser Beschäftigungen, die ausschließlich oder größtenteils nur um des Geldes Willen verrichtet werden müssen. Sie machen nur Sinn im Sinne der permanenten Kostenrechnung und haben sich aufgebläht wie eine Blase, der wir Muskel, Nerv und Hirn zuführen, obwohl alle diese Leistungen weder gegessen, getrunken, geschmeckt, gefahren, gesorgt werden können.
Zahlenkolonnen und Daten, Tabellen und Statistiken, Kurven und Kurse, das erscheint als objektiviertes Material ökonomischer Sachverhaltes. Dies alles türmt sich vor uns auf. Mit dem leben wir, tagtäglich verfolgt es uns, wenngleich wir es als gegeben hinnehmen. Wir, die Geldsubjekte haben nichts anderes gelernt. Fast alles, was wir tun, endet in einer Rechnung, entweder sollen wir zahlen oder wollen bezahlt werden.
In der Wirtschaft geht es nicht um das Brot und den Pudding, um Tomaten und Schuhe, um Kühlschränke und Badeausflüge, es geht um das Geschäft: jedes Vorhaben muss nach seinen Kosten fragen, es geht um Geld, um Löhne und Preise, um Renten und Profite. Zwischen Wie komme ich durch? bis Wie zocke ich ab? – vor dem Hintergrund dieser beiden Extrembeispiele gibt es eine bereite Palette geschäftlichen Lebens. Unser aller Leben ist durch das Geschäft okkupiert. Die Frage ist also nicht: wie kommt jemanden etwas zu, sondern stets was kann sich jemand leisten? Welcher Kauf geht sich aus, welcher Verkauf kann sich rechnen? Wie Dienstboten des Geldes laufen wir durch die Gegend.
Geldverrichtung meint Zeitvernichtung. Der Unnötigkeiten sind viele: Zahlung, Rechnung, Kontrolle, Kontoführung, Buchhaltung, Besteuerung, Bezuschussung, Bewerbung – wir stecken im Geldverkehr, er ist der eigentliche Stoffwechsel, obwohl er diesem doch nur dienen soll.
Rechnungen der Zukunft haben Rechnungen über Materialien und Dienste zu sein, nicht über Kosten derselben. „Denken wir uns die Gesellschaft nicht kapitalistisch, sondern kommunistisch, so fällt zunächst das Geldkapital ganz fort, also auch die Verkleidungen der Transaktionen, die durch es hineinkommen. Die Sache reduziert sich einfach darauf, dass die Gesellschaft im voraus berechnen muss, wie viel Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel sie ohne irgendwelchen Abbruch auf Geschäftszweige verwenden kann, die, wie Bau von Eisenbahnen z.B. für längere Zeit, ein Jahr oder mehr, weder Produktionsmittel noch Lebensmittel, noch irgendeinen Nutzeffekt liefern, aber wohl Arbeit, Produktionsmittel und Lebensmittel der jährlichen Gesamtproduktion entziehn. In der kapitalistischen Gesellschaft dagegen, wo der gesellschaftliche Verstand sich immer erst post festum geltend macht, können und müssen so beständig große Schwierigkeiten eintreten.“ (Karl Marx. MEW 24:316−317)
Die Liste fulminanter Abschaffungen und Reduzierungen wäre jedenfalls eine lange. Das hätte weitreichende Folgen: Exemplarisch würde der Energieverbrauch (Erdöl/Erdgas/Strom) sinken, ebenso der Konsum an Pharmazeutika. Und wenn der Mobilitätszwang fiele, gingen die Verkehrsunfälle sukzessive zurück, das hieße wiederum weniger Chirurgen und weniger Rehabilitationen. Weniger Flugkilometer bedeuten weniger Lärm, weniger Abgase, weniger Klimaerwärmung. Und so weiter und so fort.
Wir wollen also die Leute um ihre Jobs bringen? Genau das!! Durch ein Transformationsprogramm eminenter Abschaffungen oder großer Freisetzungen könnten in einigen Durchgängen wahrscheinlich mehr als drei Viertel der Arbeiten einfach eingespart und entsorgt werden, ohne dass wir etwas verlieren. Einerseits würde viel Kraft und Energie für die Individuen frei werden, andererseits würden die Belastungen von Mensch und Umwelt abnehmen. Der von diversen Schwachsinnigkeiten befreite Alltag wäre dann tatsächlich ein anderer.
Die große Freisetzung wäre eine Befreiung der Menschen eine Entlastung der Natur. Sie würde die soziale und die ökologische Misere lösen. Vor allem wäre sie aber auch der große Schritt vom Disponiert-Werden zum Disponieren, vom Passiv zum Aktiv. Unser Möglichkeiten sind aus zwei Gründen heute immens eingeschränkt, erstens weil jedes Anliegen der Zahlung bedarf und zweitens dafür jede Unmenge von Arbeit und Zeit in Anspruch genommen wird. Weniger übrigens was die Herstellung und Verteilung betrifft als der Aufwand, den der Fetischdienst erfordert. Wir leben in einer finsteren Periode der vom Geld- und Warenfetisch beschlagnahmten Zeit.
Die gemeinsamen Verbindlichkeiten hätten ein viel geringeres Pensum. Unser Leben wäre nicht mehr von Pflicht geprägt und umstellt, wenngleich einigen Aufgaben schon nachgekommen werden sollte. Unserer Möglichkeiten wären aber gänzlich andere, denn sie würden nicht mehr schlicht an der beschlagnahmten Zeit scheitern. Man müsste nicht mehr Geld verdienen, also (und die Sprache verrät es) dem Geld dienen. Auch dieses Hetzen und Stressen, dieses geschäftige Getue, dieses ständige von Termin zu Termin eilen wäre over.
Die letzte These lautet nun, dass wir, die bürgerlichen Subjekte, aufgrund unserer gesellschaftlichen Situation, den Großteil des Lebens eigentlich versäumen, dass das Leben, vor allem das gute Leben sich gegenwärtig nur in Nischen entfalten kann. Die große Freisetzung könnte nun das versäumte Leben in das gute Leben überführen. Wir ersparen uns das Leben zu versäumen. Es gäbe endlich die Möglichkeit, sich zu seinem Leben emotional und geistig reflektiert und nicht bloß reflexartig und affektiert zu verhalten. Vor allem müssten wir dann nicht dauernd ans Geld denken und in seinem Sinne, also für das Geld zu handeln. Die Zwangsanbeterei des Fetischs („Wir wollen weil müssen dich haben“) wäre Geschichte.
aus: Solidarisch Wirtschaften. Dokumentation des Kongresses „Solidarische Ökonomie 2013“, S. 56-57.
Weitere Infos unter: www.solidarische-oekonomie.at