von Severin Heilmann
Den ersten erinnerlichen Umgang damit hatte ich in zartem Kindesalter: Zwei Sumsi-Mitarbeiter nahmen die Entleerung eines jeden Büchslein vor und der jeweilige Auswurf am Tisch wurde allseits aufmerksam gemustert und taxiert. Da war es feierlich still. Dass ich nun hingeben musste, was doch als überaus wichtig galt, ging mir nur schwer ein. „Sparen“ heißt das, und irgendwann lernten wir die Lektion alle: Das Weniger heute ist das Mehr von morgen.
Demgemäß machte ich mir, so mit 19, Gedanken über die bevorstehende Pensionierung. Eines Freundes Bekannte hatte scheinbar hilfreiche Interessen: sie vermittelte Lebensversicherungen. Nach dem dritten Beitragsjahr schwächelte mein Sparwillen jedoch – 25 Jahre Laufzeit!?, da sträubte sich der Wirklichkeitssinn: Totalverlust. Der Ruhestand sollte doch schon vorher zu haben sein, nicht erst wenn körperlich eh nichts anderes mehr drin ist!
Die ehebaldige Verrentung im Anschlag, kamen mir sog. Finanzprodukte mit kürzeren Laufzeiten unter, wie sie auch der gut gewandete Bekannte meiner gutgläubigen Mutter im Portfolio hatte. Goldgruber hieß er und sein Name war Programm; allerdings in einem ruinösen Sinne. Nachdem gut die Hälfte in die Grube versenkt war, beschloss ich mit dem verbliebenen ethisch zu investieren; vielleicht, dass die Verluste dann weniger schmerzten! Die 2000er-Krise dezimierte auch diesen Bestand, ethisch korrekt.
Irgendwie war ich der Sache überdrüssig. Ich hatte aufs falsche Pferd gesetzt. Oder viel wahrscheinlicher war ich überhaupt beim falschen Rennen! Einer recht fraglichen Zukunft die Gegenwart so schamlos zu opfern, erschien mir denn zunehmend obszön. Arbeiten wollte ich gern, arbeiten gehen aber nicht. Ich hatte zwar einiges probiert, doch es gefiel nicht recht. Ich mied folglich die Lohnarbeit und sie mich. Wir sind nicht füreinander geschaffen, das war klar. So besann ich mich wieder meiner vorzüglichen Interessen und finde seitdem innerfamiliär Verwendung, auch sonst wo; als so eine Art Hausarchitekt ungefähr; eine Lebensstellung. Der bescheidene Lebensunterhalt speist sich derweil aus der großmütterlichen Privatschatulle, was ihr nicht billig und nur so einigermaßen recht ist.
Die Schmach meiner monetären Unselbstständigkeit tritt zu Tage, sowie die allerorten beliebte Frage ergeht, wovon man denn eigentlich lebe? Na, vom Essen und Trinken, und auch was zum Anziehen braucht der Mensch! Das ist den meisten zu hoch, es wird nachgebohrt. Ich kann auf keine Erwerbstätigkeit verweisen und komme nicht selten in Erklärungsnotstand. Will ich aber erklären – das mit dem Geld, der Arbeit und so – hab ich prompt ein Legitimationsproblem: Man könne leicht herumkritteln, im Elfenbeinturm eines leistungslosen Hinfristens.
Pfiffiger Schluss: Nachdem man mich zum Schwerpunktverantwortlichenstellvertreter der sog. Lustnummer (Streifzüge Nr. 55) berief, beschloss ich nach 35 Jahren strenger Enthaltsamkeit, ein viel versprechendes Feld zu bestellen, namentlich jenes der sexuellen Leidenschaften, um mich doch auch praktisch hierin kundig zu machen. Ein hübsches und kluges Mädchen ward alsdann gefunden und alles ließ sich zunächst recht gut an. Zunächst … denn aus heiterem Himmel wurde mir das Verhältnis aufgekündigt. Ich war bestürzt, wollte wissen, warum um alles in der Welt? Die Antwort ließ warten, war aber von verblüffender Folgerichtigkeit: Ich hätte keinen Job, könne also kein Geld verdienen, wäre also im Falle einer allfälligen Fortpflanzung nicht in der Lage, für den Spross angemessen (monetär) zu sorgen und wäre also kein guter Umgang, ja, auch ein Versager gar. Drum besser gleich einen Schlussstrich ziehen. Seltsam, es ging hier ja überhaupt nicht ums Nicht-Geld-Haben, sondern ums Nicht-Geld-Verdienen-Können, wozu ich tatsächlich, aufgrund meiner hierzu mehrfach geäußerten Ansichten nicht sonderlich befähigt schien. Beherzter Rettungsversuch meinerseits: „Die Prinzen im Märchen haben doch auch allesamt keinen Job.“ Blieb freilich erfolglos … zunächst.