von Franz Nahrada
1. Der Film „Zeitgeist:Moving Forward“ ist eine längst fällige Abrechnung mit lähmenden und dominanten Ideologien, ein erfrischendes und monumentales Statement gegen den Zeitgeist der letzten Jahrzehnte.
1.1. Der Film nimmt seinen Ausgangspunkt beim Konstrukt einer menschlichen Natur, der die gegenwärtige Gesellschaft entsprechen soll und weist nach, dass die Verhaltensdispositionen weitgehend selbst hergestellt sind (Zum Beispiel anhand des Zusammenhangs von Gewalt in der Familie und späterer Gewaltbereitschaft). Das was oberflächlich als Egoismus oder Altruismus bezeichnet wird, liegt nicht in den Genen, sondern wird von tiefen – zumeist sehr frühkindlichen – Erfahrungen geformt.
1.2.1. Bestimmt so das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein und Verhalten, wendet sich der Film eben diesem gesellschaftlichen Sein zu. In einer fundamentalen Kritik werden die zwei Doppelmonster Warenproduktion und Finanzsystem vorgeführt, die zu einer notwendigen tragischen Fehlentwicklung von menschlicher Gesellschaft führen müssen, die sich selbst zunehmend ad absurdum führt. Materieller Reichtum akkumuliert sich selbstzweckhaft und ohne Rücksicht auf seinen Sinn oder seine Bedingungen, der Konsum ist nur Mittel dieser Akkumulation und daher zur systemischen Verschwendung verkommen. Geld als die ultimate und dauerhafte Gestalt dieses Reichtums ist folgerichtig gar nicht an realen Reichtum als Substanz gebunden und entwickelt in sich selbst noch einmal ein unheimliches Eigenleben, indem es als reine Spekulation auf zukünftige Vermehrung geschaffen wird, also eigentlich substanzloser Bezug auf sich selbst ist.
1.2.2. Gerade darin, durch seine schiere Größe und Wucht, bestätigt sichdas zum Finanzkapital aufgestiegene Geld als das Ermächtigungsmittel einer schrankenlosen Diktatur über alle Lebenschancen, das erst durch die folgerichtige Krise, aber doch immer nur zum Teil, vernichtet wird, um nach dieser Häutung den nächsten Zyklus zu beginnen. Die Darstellung versäumt es zwar, den inneren Zusammenhang von Warensystem und Geldsystem darzustellen, doch schon die äußere Krise, die Krise fast aller materiellen Ressourcen, zeigt dass dieses Doppelsystem zur existentiellen Gefahr für das Fortbestehen der Menschheit geworden ist.
1.3. Der Film wagt es auszusprechen was die einzig richtige Konsequenz dieser Gefahr ist: Beides, das Warensystem UND das Geldsystem und damit aber auch der gesamte Überbau der auf ihm beruhenden, gewaltsamen und verschwenderischen gesellschaftlichen Instanzen müssen abgeschafft werden. Eine Alternative ist denkbar und machbar, sie ist überfällig und notwendig – eine Alternative, die vom menschlichen Bedürfnis und den natürlichen Ressourcen ihren Ausgangspunkt nimmt und ihren inneren Bezug vernünftig organisiert. Zugleich ist diese Alternative von Anfang an nur als globale Alternative denkbar, denn wir leben längst in einer tausendfach vernetzten und verketteten Welt. Abstrahieren wir für einen Moment von der totalitären Einschränkung durch die Form des gesellschaftlichen Reichtums, so stehen uns noch immer genug Mittel zur Verfügung, eine Welt des guten Lebens für alle einzurichten.
1.4. Die praktische Schwierigkeit dieses Überganges ist freilich ungeheuerlich groß. Der Film endet in einer optimistischen Vision einer globalen Protestbewegung, die die Herrschenden zur Abdankung zwingt, warnt aber zugleich vor dem Dilemma, in eine Gewaltkonkurrenz gezwungen zu werden.
2. Soweit eine Würdigung des Films, der in einer neuen und drastischen Wendung auch die Macht der Medien und des Netzes bei der Bildung neuer und bedeutender sozialer Bewegungen zeigt. Ohne Zweifel ist durch diesen Film und die gut besuchten Screenings die Existenz einer globalen Bewegung bestätigt, ohne dass wir noch wüssten, was die nächsten Schritte, die Strategie und die Kampfmittel dieser Bewegung sein werden. Es scheint ein hoher Bewusstseinsstand zu herrschen der diese Bewegung dazu bringt, sich vom traditionellen Marxismus abzugrenzen:
„Wir werden aufhören, das System zu unterstützen, während wir zur selben Zeit konstant Wissen, Frieden, Einheit und Mitgefühl befürworten und verbreiten werden. Wir können nicht „gegen das System kämpfen“. Hass, Wut und die „Kriegsmentalität“ haben als Weg zur Veränderung versagt, da sie sich der selben Mittel der korrupten, etablierten Mächte bedienen, welche sie als Werkzeug zur Wahrung der Kontrolle einsetzen.“ (Christian Kogler/Zeitgeist Website)
Die Bewegung ist zunächst weniger Subjekt als Katalysator; es ist der massenhaft verstärkte Druck der besseren Einsicht, der Menschen dazu bringt, ihren realen Lebensprozess revolutionieren zu wollen:
„Wie machen wir den ersten Schritt, wie sollen wir den Übergang schaffen?“ Das ist natürlich die schwerste Frage. Die Antwort: Irgendwo müssen wir anfangen! Es gibt viele Dinge, die eine Einzelperson oder Gruppe tun kann, um dieser Vision Gestalt zu geben. Der wichtigste Schritt ist Bildung. (Jacob Olszewski/Zeitgeist Website)
Und im Unterschied zu vorangegangen Bildungsbewegungen, die es sich sich in der Selbstbezüglichkeit ihrer besseren Einsichten sektenhaft gemütlich gemacht haben, sucht die Zeitgeist – Bewegung den Dialog. Dahinter steht die richtige Einsicht, dass es durchaus die intellektuellen Ressourcen des herrschenden Systems selber sind, die anzusprechen wären. Gerade diejenigen, deren Beruf es ist, die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse am Laufen zu halten, sind nicht einfach Funktionäre der Ware und des Geldes; sie sind vielmehr in ihrer Tätigkeit zunehmend mit der Tatsache konfrontiert dass die „Sachzwänge“ die die Budgets und Buchhaltungen regieren eine vernünftige Erfüllung ihrer Aufgaben schlechterdings unmöglich machen. Der beständige Zwang die eigenen Ansprüche, die eigene Arbeit als Erzieher, Verwalter, Experte, Mediziner, Wissenschaftler und so weiter an diesen Sachzwängen zu relativieren und zu akkomodieren und die Produktion von menschlichem Elend erleben zu müssen, kann nur selbst zu menschlichen Tragödien und zu einem Gefühl der zunehmenden Uneträglichkeit führen.
Gerade dort, wo Intellektuelle direkt mit Fragen der gesellschaftlichen Reproduktion beschäftigt sind, wird man hinter vorgehaltener Hand erfahren wie sehr sie die offiziell verkündeten Botschaften des Zynismus bezichtigen. Und wo sie es nicht direkt sind, in der Kunst- und Ideologieproduktion, wird die Freude am schönen Schein immer schaler und der hohe Status der selbstzufriedenen Weltfremdheit nimmt ab.
Nach fünfundreißig bleiernen Jahren kehrt also fundamentale Gesellschaftskritik zurück, verstärkt und beschleunigt durch das Netz. Und sie kehrt vermutlich in einer gereiften Form zurück, nicht mehr in der irrigen Annahme, dass alle Fragen prinzipiell geklärt seien und nur mehr die Wissenden die Unwissenden zu belehren hätten.
3. In diesem Sinn hat sich die Zeitgeist Bewegung auch an mich gewandt, den Film zu kommentieren. Ich werde im folgenden versuchen, Kritik zu üben, nachdem ich die Würdigung bereits geleistet habe. In einem Wort: der Film hat eine wichtige Botschaft, aber er enthält noch viele Fehler, die hoffentlich im Lauf der Zeit zu korrigieren sein werden.
3.1. Zunächst laboriert der Film wie die gesamte Zeitgeist – Bewegung an einem Selbstwiderspruch: das Projekt einer neuen Gesellschaft wird vorgestellt, ohne es selbst dem Prinzip einer kritischen Selbstüberprüfung und Experimentation auszusetzen. In einer wunderbaren Stelle des Filmes spricht Jacques Fresco über die „Formelgläubigkeit“ der Wissenschaft und die Tendenz, die kritische Rolle des Experimentes bei der Entwicklung von Lösungen zu vergessen. Er tut dies am Beispiel der Entwicklung des Flugzeuges. Eine logische Konsequenz müsste also sein, dass die Bewegung die Realisierung eines Experimentalraumes für Ressourcenbasierende Wirtschaft fordert, dies geradezu zu einem leidenschaftlichen Anliegen macht. Die „Erfindung“ einer geldfreien Gesellschaft und einer ressourcenbasierenden Ökonomie lässt sich nicht im Ernst mit der Bemerkung (im Film) abtun, das „jede größere Supermarktkette dies im Kleinen schon vorwegnimmt“. Das erinnert ein wenig an die unsäglich dumme Aussage eines marxistischen Teach-In Redners in den Siebzigern, die Planwirtschaft sei deswegen kein theoretisches Problem weil ja auch die Züge der Bundesbahn planmäßig führen (was übrigens damals noch der Fall war). Die Arroganz und Ignoranz dieses Arguments ist kaum zu überbieten. Es handelt sich dabei auch um kein quantitatives Problem oder ein Problem lediglich gesteigerter Komplexität, sondern um einen vollkommenen qualitativen Unterschied. Wir sprechen hier von einem Projekt einer partizipativen und über die Bedürfnisse der Menschen konstituierten Produktion, einem inhärent dynamischen Vorgang der möglichst vielen Varianten Rechnung tragen und alle Rahmenbedingungen einbeziehen soll. Das Ganze übrigens unter der Voraussetzung einer kapitalistisch vorgegebenen, vollkommen überzogenen Totalvergesellschaftung, die in ihren prekären Rahmenbedingungen schlechterdings nicht planbar ist. Alle diese Auseinandersetzungen über den notwendigen Rückbau, die aspektuelle Autarkie von Teilsystemen als notwendige Bedingung zur Lebensfähigkeit des Ganzen usw. werden noch zu führen sein: doch bleibt in jedem Fall der Widerspruch schon stehen, dass das Neue „dogmatisch antizipiert wird“, anstatt dass es inmitten der alten Welt schon keimhaft seine Wahrheit unter Beweis gestellt hätte. Noch niemals hat sich geselschaftliche Entwicklung so vollzogen, und wir tun gut daran, historischer Erfahrung zu vertrauen, wenn wir tatsächlich Geschichte schreiben wollen. Adam Smith wies in seinem „Wealth of Nations“ auf die erfolgreiche Praxis in Oberitalien und Flandern hin, als er seinen adligen Lesern die Einführung von Kapitalismus und freier Lohnarbeit als Reichtumsquelle für moderne Kriegsführung anempfahl.
3.2. Der zweite Punkt scheint mir ebenso fundamental wie der erste: Jacques Fresco, der geistige Ahnvater der Zeitgeist – Bewegung, postuliert eine immanente Logik des Zusammenhanges von Bedürfnis und Produktion, wie sie nur aus dem abstrakten Denken eines modernistischen Stadtplaners entspringen kann. Nicht die Menschen und ihre kulturelle Verschiedenheit, ihre Verwurzelung mit Werthaltungen und Lebensprozessen sind der prägende Faktor der Gestaltung ihres Lebenssystems, sondern eine mathematisch zu berechnende Idealformel, aus der folgt dass wir in kreisförmigen Städten leben werden, die versorgungsoptimiert geplant und realisiert sind. Meine erste Reaktion darauf war: in dieser Stadt würde ich nicht wirklich leben wollen, sie ist wirklichkeitsentleert wie Huxleys Brave New World. Nicht dass es ab und zu ganz angenehm wäre, in diesem gigantischen Erholungsheim dahinzudösen oder Spektakel aufzuführen – aber auf die Dauer wäre das eine eintönige Umgebung, in der es keinen Spaß macht zu erfinden oder kreativ zu sein. Kluge Utopisten wie Franz Werfel (Stern der Ungeborenen) oder Hermann Hesse (Glasperlenspiel) haben diese Idealwelt ihrer immanenten Menschenfeindlichkeit überführt. Ich möchte als provokative Antithese zu Frescos Idealstadt ganz bewusst das Gegenbild des Dorfes einführen, in der der Mensch nach wie vor mit dem Nichtverfügbaren der Natur als ewigem Dialogpartner und Konterpart konfrontiert ist – nicht um sich ihr zu unterwerfen oder vor ihr zu kapitulieren, sondern um in immer neuer Form mit ihr ein dynamisches Spiel der Umgestaltung und Transformation zu spielen, durch das er selbst erst Zugang zur Quelle seiner Lebendigkeit findet.
Ernst genommen hieß das einen wesentlich größeren Freiraum der menschlichen Gestaltung von Lebenswelten und Lebensformen zu fordern, dem Individuum auch die Freiheit geben zwischen solchen Lebensformen zu wählen. Der Schweizer Visionär P.M. stellt deswegen auch die Form der kleinräumigen kooperativen Lebensgestaltung in den Mittelpunkt (Life Maintainance Organisation, bolo), deren Qualität gerade ihre Diversität ist, die Fülle an menschlichen Lebensentwürfen und dementsprechend gewählten „Bühnen“ (aber nicht im Sinn eines Spektakels), in denen Werte und Muster in Resonanz miteinander gehen können.
3.3. Das leitet schließlich auch zum dritten Hauptargument über, das ich hier noch anführen muss. Weder wird die derzeit offizielle Vision der Zeitgeist – Bewegung unseren Möglichkeiten gerecht noch der tatsächlichen Beschränkung unserer Ressourcen. Wir haben vielleicht gar nicht mehr die Zeit und die Mittel, in unserer Lebensspanne die Frescoschen Idealstädte zu bauen, aber wir haben eine Fülle von Möglichkeiten des organischen Umbaues unserer derzeitigen Lebensräume. Im Film wird – leider -eine ganz, ganz wichtige Unterscheidung nicht gemacht, die konstitutiv für die vollkommen veränderten Perspektiven unserer Zeit ist. McLuhan hat sie am besten herausgearbeitet, indem er der Gleichsetzung von Automatisierung und Mechanisierung bzw. Industrialisierung ihren scharfen Unterschied entgegensetzte.
Industrialisierung verlangt große, zentralisierte, standardisierte Lebenswelten, städtische Lebensräume am besten, in denen gewaltige Inputs zu großen Outputs verarbeitet werden müssen. Automatisierung kann in alle Lebenswelten vordringen, auch in die peripheren, sich dort in vorhandene Kreisläufe eingliedern und diese optimieren. Sie ist, wie McLuhan sagt, inhärent dezentralistisch und antihierarchisch. Toffler hat gezeigt, wie die Industrie selber stofflich und technisch gesehen zur Mutter der Automatisierung wurde und eine Fülle von Produkten hervorbrachte, die selber ihre lokale Produktionsintelligenz mitbringen, die durch globale Vernetzung der dezentralen Produktionsaggregate eine neue lokale Renaissance einleiten können.
All dies fehlt in Frescos Vision, uns sollte von der Zeitgeist Bewegung neu bedacht werden – auch und gerade um handlungsfähig zu bleiben in einer Gesellschaft die die Erde fast aller leicht verfügbaren Ressourcen beraubt hat (der Film zeigt auch dankenswerterweise, wie schwierig die Wiedergewinnung dieser Ressourcen über Jahrzehnte und Jahrhunderte sein wird). Wir müssen uns auf eine langsame Periode der Erholung einstellen, auf eine Entschleunigung. Deswegen ist es heute wichtig, die Einsichten der Transition – Bewegung mit den erfrischen radikalen und klaren Thesen der Zeitgeist Bewegung hinsichtlich des Waren- und Geldsystems zu verknüpfen.
4. Damit vermeiden wir auch einen historischen Fehler, der uns viel zu wenig bewusst ist: den Verlust und das Leid, das mit einem totalen Bruch, mit der scheinbar so jugendfrohen Emphase des Einreißens, Ausreißens und Neuaufbauens verbunden ist. Revolutionen sind tiefe Wunden, die Gesellschaften für Generationen erschüttern, und die Kunst der Geburtshilfe einer neuen Gesellschaft besteht darin, solche Wunden möglichst zu vermeiden – ohne das eigene Anliegen aufzugeben.