Reich der Arbeit

von Franz Schandl

In folgendem Aufriss soll der überaffirmative Arbeits„begriff“ des Nationalsozialismus als Zuspitzung und Ausdehnung des obligaten gesellschaftlichen Wertekonsenses dechiffriert werden.

„Sieg der Arbeit“ heißt ein Buch, das der Nazi-Schriftsteller Anton Zischka (1904-1997) im Jahr 1941 im Goldmann Verlag veröffentlicht hat. „Kein schönerer Sieg der Arbeit ist je erfochten worden als der jenes ausgebluteten, niedergetretenen Deutschlands, das zu sich selbst fand, aus eigenster Kraft den Sieg errang über die reichsten und mächtigsten Imperien der Welt.“ (Z:15) In aller Welt sei jetzt „sichtbar, dass die Arbeit die Regentin unseres öffentlichen und privaten Lebens ist.“ (Z:23) Arbeit sei fortan nicht Mühsal, sondern „schöpferische Lust“ (Z:23). „Denn in Deutschland ist seit 1933 Arbeit eine Ehre.“ (Z:288) „,Der Betrieb ist eine zum Nutzen von Volk und Staat arbeitende Leistungsgemeinschaft‘, sagt der § 1 des deutschen Gesetzes zur Ordnung der Arbeit.“ (Z:288) „Der Arbeitsvertrag ist dadurch in ein gegenseitiges Treue- und Fürsorgeverhältnis umgewandelt und das Arbeitsverhältnis auf eine völlig neue Grundlage gestellt worden. Die Arbeit ist Dienst, nicht mehr ,Ware‘; Ehre, nicht mehr Fron.“ (Z:289) „Die Wertung des Menschen nach seiner Arbeit, nach seiner Einstellung gegenüber dem Volksganzen ist heute so selbstverständlich geworden…“ (Z:289)

Bann und Dienst

Dass der Wert der Menschen sich aus ihrer Arbeit ableitet, ja dass Menschen überhaupt einen Wert haben müssen, darin unterscheiden sich die Faschisten nicht von ihren Kontrahenten. Warum diese und andere Parallelen so wenig aufbereitet werden, liegt wohl auch daran, dass durch eine solche Fokussierung sofort die enge Verwandtschaft mit den liberalen und konservativen, sozialdemokratischen und stalinistischen, ja sogar linksradikalen Prinzipien offenkundig wäre. Daran kann niemand so recht eine Freude haben, gelten doch die Nazis als das Andere und die Anderen schlechthin. Nicht einmal wo wir mit ihnen identisch sind, wollen wir an sie anstreifen. Der Erkenntnis ist das freilich nicht besonders förderlich.

Die Arbeit ist tatsächlich eine alle Anschauungen und Strömungen umfassende Beschwörung. Wenn man sich auf etwas einigen könnte, dann darauf, dass immer gearbeitet wurde und dass ewig gearbeitet werden muss. Die Arbeit wird in dieser gemeinen Sichtung stets ihrer spezifischen Beschaffenheit entkleidet und zu einem überhistorischen Fixum erhoben. In Zischkas Untertitel wird sie etwa als „Geschichte des fünftausendjährigen Kampfes gegen Unwissenheit und Sklaverei“ präsentiert.

Die Nazis stehen ganz im Bann der Arbeit. Indes, sie spitzen bloß zu. Ihr Arbeitsbegriff ist nicht neu (geschweige denn kritisch), aber er ist neu dimensioniert. In seiner Beschaffenheit vorgegeben, säuberten sie ihn von den klassenkämpferischen und ständischen Bezügen und Beigaben und stülpten ihn der gesamten Gesellschaft über. Hatte man in der Arbeiterbewegung bei aller Arbeitsanbetung auch noch den Arbeitslohn und die Arbeitsbedingungen im Blickfeld, so wurde im Faschismus mit diesen Akzenten aufgeräumt.

Das Reich, das die Nazis sich vorstellten, war tatsächlich eines der Arbeit und des Arbeiters. Sie eigneten sich nichts an, was ihnen äußerlich gewesen wäre. Arbeit ist hier auch kein Begriff mehr, sondern eine apriorische Gestalt, ein Vokabel, das Ernst Jünger (1895-1998) sein langes Leben lang verwendete und prägte. „Denn die Gestalt ist das Ganze, das mehr als die Summe seiner Teile enthält“ (J:34f.), heißt es etwas kryptisch. Arbeit ist nicht bloß Faktum sondern Fatum, es ist klar, dass „Arbeit kultischen Ranges ist“ (J:153), schließlich geht es um die „planetarische Herrschaft“ (J:306) dieser Gestalt. Dem kann, also hat sich niemand zu widersetzen.

Wenn man wissen will, was die Bezeichnung „Arbeiter“ im Namen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zu suchen hat, dann ist Jünger gefragt. Sein Buch „Der Arbeiter“ (1932) ist eine kaum zu überbietende Lektürehilfe. Jünger spricht davon, dass der Führer der „erste Diener, erste Soldat, erste Arbeiter ist“. (J:15) Kriegs- und Arbeitsfront sind sowieso identisch (vgl. J:114). Der so installierte Arbeiter ist nicht der freie Arbeiter am Markt, sondern die eherne Keimzelle des nationalen Staates: Diener, Soldat, Arbeiter in einem. Pflicht aus Freude ist dessen Wille. Dieser Arbeiter ist Glied, er hat sich nichts mehr auszusuchen, er ist elementarer Bestandteil der Volksgemeinschaft, nicht bloß verdinglichtes Subjekt, sondern dienstbares Organ. Dieser Arbeiter hat kein gesondertes Interesse zu haben, denn sein Interesse ist das allgemeine Interesse seines Staates. Jeder ist Arbeiter und jeder hat Arbeiter zu sein. Auch der Unternehmer als Wirtschaftsführer ist ein Arbeiter, was sonst. Der Arbeiter besitzt „rassemäßige Qualität“ (J:212), er ist nicht von seinem Status zu befreien, sondern seine Gestalt ist zu universalisieren.

Kranker Menschenverstand

Auch die Einheit von Kapital und Arbeit war zentrales Credo der NSDAP. „Deutschland wandte sich gegen den Kapitalismus, nicht gegen das Kapital, denn Kapital kann ja nur aus Arbeit entstehen, und es ist nicht einzusehen, warum es weniger daseinsberechtigt sein soll als die Arbeit selbst.“ (Z:284) Dass Kapital verwertete Arbeit ist, sieht Zischka ja völlig richtig. Das Kapital wird hier nicht mystifiziert, mystifiziert wird erst der Kapitalismus. Der Nationalsozialismus will nun diese Einheit von Kapital und Arbeit keineswegs überwinden, sondern zur Vollendung führen, indem er auch noch die inneren Widersprüche verbietet und alle Anstrengungen in den Dienst der Volksgemeinschaft stellt.

Die vorgenommene Scheidung von Kapital und Kapitalismus gehört seit Jahrhunderten zum Arsenal des gesunden Menschenverstandes. Dass ausgerechnet der Kapitalismus nicht Ausdruck des Kapitals ist, sondern als gegen dieses gerichtete Machenschaften (Gier, Ausbeutung, Korruption, Spekulantentum) zu begreifen ist, mag ein seltsamer Reflex sein, aber es ist der vorherrschende. Auch aktuell. An allen Ecken klopft er seine Sprüche und kontaminiert das Unbehagen.

Bleiben wir doch noch bei den gängigen Volksvorurteilen: „Nur Arbeit vermag Güter zu schaffen, im Grunde seines Herzens weiß das ein jeder. Geld ist nur ein Mittel, Arbeitserträge aufzuspeichern, neue Arbeitsgelegenheiten zu schaffen; es ist ausschließlich ein Tauschmittel und Wertmesser.“ (Z:21) Da stimmt doch jeder zu, und doch ist es Unsinn. Güter werden nämlich nicht durch die Arbeit geschaffen, sondern durch ihre Herstellung und Produktion, durch die Arbeit wird nur ihre vergleichende Inwertsetzung ermöglicht, kurzum ein Tauschwert realisiert. Diese Täuschung ist jedoch allen Mitgliedern der Gesellschaft geläufig und selbstverständlich, weil praktiziert und somit praktisch, sie erscheint nicht als analytische Denkleistung, sondern als synthetische Vorleistung, der per Vollzug nachzukommen ist. Sie denken, was sie tun, aber sie denken nicht, was sie tun.

Arbeit ist eben nicht eine konkrete Tätigkeit, die sich vollzieht, sondern die abstrakte Bezüglichkeit entspezifizierter Tätigkeiten zueinander, indem diese in Wert gesetzt werden und nur ihren Zweck erfüllen, wenn sie sich vermarkten oder doch durch ihre Mitgift diese Vermarktung substanziell ermöglichen. Güter sind Folge konkreter Aktivität, Geld ist Folge eines abstrakten Vergleichs. Und doch muss in der Warenwirtschaft das eine immer als das andere erscheinen, diese Verwechslung ist ein Grundpfeiler allen bürgerlichen Handelns und Handels.

Arbeit als Leben

Sie spitzten aber nicht nur zu, sie dehnten auch aus. Dass Arbeit nicht nur die Arbeit, sondern das ganze Leben zu umfassen hatte, auch darin waren die Faschisten Vorreiter. Selbst die gedankenlose Inflationierung des Arbeitsbegriffs, wie sie sich heute in den terminologischen Aufladungen und Neuschöpfungen (von der Erziehungsarbeit über die Liebesarbeit bis zur Trauerarbeit) offenbart, hat ihre nationalsozialistischen Ahnen. Auch die dachten die Arbeit durch und durch kolonialistisch. „Arbeit und Leben sind so eng verflochten, dass eine Geschichte der Arbeit eigentlich alles enthalten müsste, was mit dem menschlichen Leben zusammenhängt, dass sie zugleich Kultur- und Weltgeschichte sein müsste, eine Geschichte der Erfindungen, aber auch der Kunst, eine Religionsgeschichte….“, schreibt Anton Zischka. (Z:5) Ganz entrückt und in höhere Sphären vordringend auch Ernst Jünger: „Es kann nichts geben, was nicht als Arbeit bezeichnet wird. Arbeit ist das Tempo der Faust, der Gedanken, des Herzens, das Leben bei Tag und bei Nacht, die Wissenschaft, die Liebe, die Kunst, der Glaube, der Kultus, der Krieg; Arbeit ist die Schwingung des Atoms und die Kraft, die Sterne und Sternensysteme bewegt.“ (J:68)

Wir haben es hier also letztlich mit einer gesprengten Kategorie zu tun: „Arbeit ist also nicht Tätigkeit schlechthin, sondern der Ausdruck eines besonderen Seins, das seinen Raum, seine Zeit, seine Gesetzmäßigkeiten zu erfüllen sucht. Daher kennt sie keinen Gegensatz außer sich selbst (…) Das Gegenteil der Arbeit ist nicht etwa Ruhe oder Muße, sondern es gibt unter diesem Gesichtswinkel keinen Zustand, der nicht als Arbeit begriffen wird.“ (J:91)

Leben ist Arbeit. Recht ist Pflicht. „Der Wille zur Arbeit aber, der Wille zum Leben, lag unserem Volk so stark im Blute, dass es auf den Führer hörte, der dieser Arbeit wieder ihren Sinn gab, das Recht auf Arbeit allen anderen voranstellte, die Pflicht zur Arbeit wieder zum Leitgedanken machte.“ (Z:153) Ganz ähnlich Jünger: „Es ist aber nichts einleuchtender, als dass innerhalb einer Welt, in der der Name des Arbeiters die Bedeutung eines Rangabzeichens besitzt und als deren innerste Notwendigkeit die Arbeit begriffen wird, die Freiheit sich darstellt als Ausdruck eben dieser Notwendigkeit oder, mit anderen Worten, dass hier jeder Freiheitsanspruch als ein Arbeitsanspruch erscheint.“ (J:67) Die totale Mobilmachung bedingt eine „umfassende Arbeitsdienstpflicht“ (J:302).

Nirgendwo wird der Gedanke, dass das Recht auf Arbeit mit der Pflicht zur Arbeit einher geht, so deutlich ausgesprochen wie bei den Nazis. Arbeit ist Auftrag zur Erledigung. Ein verpflichtender Arbeitsdienst ist nur die organisatorische Folge dieser Überlegungen. Die von der Ideologie Beseelten empfanden diesen Zwang aber tatsächlich als Freiheit. Müssen heißt Wollen. Eine derartige Totalidentifizierung mit den Herrschaftsparametern ist bisher nur der NSDAP gelungen. „Arbeit macht frei“, das war für diese Leute durchaus eine Wahrheit. Aber auch das unterscheidet Nazis nur graduell von Demokraten. Die scheuen nur vor den letzten expliziten Konsequenzen (bei Inländern mehr als bei Migranten) zurück, substanziell ist der Arbeitszwang angelegt und implizit ist er sowieso gegeben.

Menschenschlag

Bei Jünger ist übrigens auch immer wieder die Rede vom „Menschenschlag“ (J:37; 130 usw.): Da ist sogleich zu fragen, wer oder was denn diesen Menschen diesen Schlag angetan hat. Und wie man denn in die Lage gerät, zu diesem Schlage gehören zu müssen. Deutlicher als der Begriff des Typus legt die Gestalt des Schlages ja etwas a priori und definitiv fest. Da gibt es kein Entkommen. Nicht einmal partiell. Der Schlag ist unhintergehbar. Und das soll auch so sein. Die sich ihm widersetzten, konnten in dieser Logik auch nur als Schädlinge und Verräter, als Asoziale und Deserteure aufgefasst werden.

Menschen müssen geschlagen werden, und sie sind es auch in jeder Hinsicht. Gerade Schläger brauchen viele Schläge, um austeilen zu können, was sie eingesteckt haben und um in letzter Konsequenz nicht nur Krieger, sondern dezidiert Schlächter zu werden. Denn in diesem bösen Spiel kann es laut Jünger nur Triumph oder Tod (J:137) geben. Da läuft es kalt über den Rücken und das Ende von Sensibilität und Empathie ist erreicht. Indes, Verletzte sind auch die Sieger. Und damit sie es bleiben, müssen sie immer wieder raus in den Kampf, und sie können nicht austeilen, ohne Blessuren davon zu tragen. Konkurrenz ist Schädigung und Opferung in Permanenz.

Der Nationalsozialismus war der bisherige Gipfel der Arbeitsanbetung, nirgendwo sonst hat die „Schwerkraft des totalen Arbeitscharakters“ (J:306) so zugeschlagen wie im Dritten Reich. Arbeit meint nicht kreative Tätigkeit, sie meint verletzen, zerstören, umbringen, vernichten.

J: Ernst Jünger, Der Arbeiter. Herrschaft und Gestalt (1932), Stuttgart 1982.

Z: Anton Zischka, Sieg der Arbeit. Geschichte des fünftausendjährigen Kampfes gegen Unwissenheit und Sklaverei, Leipzig 1941.

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