von Max Wachter
Asbestvergiftung, Sterben in Zeitlupe: Für zigtausende Menschen bedeutet harte Arbeit Berufskrankheit, Invalidität. In Folge ein schweres Leben für die Betroffenen, deren Familie und Angehörige. Das lässt die gutversorgten Minderleister der Allgemeinen Unfallversicherungs Anstalt (AUVA) kalt. Ein am eigenen Leib erfahrener Report.
Also die Geschichte ist einfach. Nach der Pflichtschule 1969 eine Lehre. Traumberuf Elektriker wegen nicht vorhandenem Ausbildungsplatz verpasst. Ersatz als Hafner und Fliesenleger gefunden. Unerwartet hat dieser Beruf auch was mit Strom zu tun. Kachelöfen haben ein Innenleben, und sogar Starkstrom. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war, wegen billiger Elektrizität die Ofenbaukunst mit noch günstigerem Nachtstrom, der Renner. Aber diese wärmespeichernden Heizquellen verbargen noch was in ihrem keramischen oder blechernen Inhalt. Asbest in Form von Vlies, Platten und Schnüren.
Zuerst die gute Nachricht für Menschen, die Asbestfasern eingeatmet haben. Das Perfide an der Krankheit ist, dass sie erst nach 30 bis 40 Jahren ausbricht. In Frankreich schlug eine Kommission des Senats im Oktober 2005 Alarm. Von 1965 bis 1995 starben in Frankreich asbestbedingt 35 000 Menschen an Lungen-, Brustfell- oder Rippenkrebs. In den nächsten 20 Jahren wird es noch 60 000 bis 100 000 erwischen.
Eines steht noch im Bericht der Senatskommission. Das Drama um die Folgen der Asbestanwendung wäre in diesem enormen Ausmaß vermeidbar gewesen. Es gab schon seit Jahrzehnten Kenntnisse über die schweren Krankheitsfolgen von Asbest. Die öffentlichen Stellen hätten ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt. Nach Erkenntnis der Kommission hat die Asbest-Industrie mit vorsätzlicher Strategie ein Verbot des Werkstoffs so lange wie möglich verhindert. Tatsächlich wurde Asbest erst Anfang der 90er Jahre als Baustoff verboten.
Halbtot und auf der Tragbahre, dann hast bei der AUVA ein Leiberl
In Österreich ist nur das „Geschäft” mit Asbest von gesellschaftlicher Relevanz. Die Sanierung der Zentralsparkasse in Wien Landstraße war ein Super Sanierungsfall für die Asbestsanierer. Die Asbestbeseitigung in der UNO-City wurde vor ein paar Jahren mit sage und schreibe 800 Millionen Euro veranschlagt und soll mehr als zehn Jahre dauern. Bei der Abschluss-Abrechnung wird diese Summe enorm höher sein. Darauf darf gewettet werden.
In Österreich wurden bis Ende der 80er Jahre jährlich etwa 30 000 bis 40 000 Tonnen Asbest, überwiegend Weißasbest, verarbeitet. In den 70er und beginnenden 80er Jahren waren die Tonnagen viel viel größer, weil für viele Baustoffe wie Fliesenkleber, Spachtelmasse, Dämm- und Fußbodenplatten oder Fahrzeugbremsscheiben folgte das Asbestverbot schon vor 1985. Generell darf Asbest seit 1990 bis auf ein paar Ausnahmen im Feuersicherheitsbereich nicht mehr verwendet werden.
Saublöd und dumm stellen sich die verantwortlichen Politiker und die AUVA-Verantwortlichen, wenn es um Asbest geht. „Da müssen’s dich schon halbtot auf der Tragbahre zur Untersuchung tragen, damit die was zahlen und eine Berufskrankheit anerkennen”. Das war schon in den 70er Jahren in den Bauhütten zu hören. Die offiziellen Zahlen der AUVA-Asbeststatistik belegen das.
Die Asbestproblematik in Zahlen und Fakten: „Durch Asbest verursachter Lungenkrebs ist eine Berufskrankheit im Sinne der Liste der Berufskrankheiten im Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG). Die Statistik der AUVA wies Ende 2003 128 asbestbedingte Rentenfälle aus. Der jährliche Neuzugang betrug zuletzt (2003) 23 Fälle”. So steht es in einer Broschüre der Allgemeinen Unfallversicherungs Anstalt. Da erübrigt sich ein Kommentar, wenn man diese Fakten mit den offiziellen Daten von Frankreich vergleicht und die ebenfalls oben angeführten verarbeiteten Asbestmengen liest.
Meine Erkrankung begann Ende der 90er Jahre. Husten beim Aufstehen bis zum Niederlegen und selbst im Schlaf.
Lungenentzündungen mit dem Beginn der feuchtkalten Zeit im Oktober oder November. Niemals geraucht – das sollte sich später als Vorteil herausstellen. Erste stationär behandelte Lungenentzündung so um 2000 auf der Baumgartner Höhe. Gebe an, dass ich allergisch auf Cortison reagiere. Hilft mir nix. Zwei Tage später schwere Allergiereaktion mit juckenden Pusteln am ganzen Kadaver. Zugeschwollener Hals samt Erstickungsgefahr. Die behandelnden Ärzte haben sich über meine Angaben hinweggesetzt. Auskunft erhielt ich vom vietnamesischen Krankenpfleger, als ich ihn fragte, welchen Inhalt die Kanüle hat, die mir intravenös verpasst wurde. Es war Cortison.
Weitere schwere Lungenentzündung im November 2003. Szenenwechsel ins ehrwürdige Kaiser Franz Josefs Spital, auf wienerisch „KaEfJot“ genannt. In den Wiener Spitälern machte sich schon der allgemeine Trend zum Sparen bemerkbar. Zuwenig Personal, überbelegte Zimmer, organisatorisches Chaos. Mein Bett am Gang wurde immer hin und her geschoben wie bei einem Schachspiel.
Traue den Ärzten nicht mehr. Mein journalistischer Instinkt sagt mir, dass der Betrieb im KFJ auf keinen Fall rund läuft. Frage den behandelnden Arzt kurz vor Mitternacht, für wen die Infusion ist, die er mir verabreichen will. Ich bekam nämlich keine vorher, und an meinem Bett weit und breit nix zu sehen von einem Namen des Patienten. Das ist für den Herrn Soundso, spricht ein verlegener Turnusarzt zu mir. Meine Antwort: „Der bin ich aber nicht”. Alles klar, noch Fragen?
Tags darauf ist die Kanüle in meiner Vene verstopft. Schlauch und Antibiotikum verfärben sich rot mit Blut. Die Krankenpflegerin der Nachtschicht versucht die Brühe wieder in Fluss zu bringen. Sie schafft es aber nicht und piepst nach einem Arzt. Der kommt aber nicht. Nach einiger Zeit entfernt sie die kleine Antibiotikaflasche und wirft sie scheppernd in den Müll.
Eine chaotische Spitalsabteilung – und Zustände zum Davonlaufen
Nach fünf Tagen kugle ich immer noch auf dem Gang herum. Es stinkt ziemlich. Das ausgegliederte Hygienepersonal telefoniert zwar fleißig mit dem Mobiltelefon, arbeitet aber nicht. Die Königin der Nachtschicht reißt kurz nach Mitternacht das Gangfenster auf, weils so stinkt, vergisst selbiges aber zuzumachen. „Seid ihr wahnsinnig, wollts ihr uns die Leute umbringen”, schreit die Krankenpflegerin der beginnenden Frühschicht. Am Gang hat es plus/minus null Grad. Draußen minus 10. Mir wars egal, hatte eh Fieber und mir war warm. Hab die Oberärztin um einen Termin für einen Palaver gebeten. „Keine Zeit, vielleicht später“. Sie war dann sechs Stunden später bei mir am Bett und begrüßt mich mit „Eine Minute hab ich jetzt”.
Das folgende Gespräch war dann für die Stationschefin nicht lustig. Bin dann auf Revers aus dem KFJ abgehauen. Die Oberärztin hat mir dann geflüstert, dass sie eine Entlassung auf Grund meines Lungenpatschens nicht verantworten kann. Ich hab ihr die Verantwortung mit Unterschrift abgenommen. Sie hat mir ihr Herz ausgeschüttet, nachdem sie mich nach meinem Beruf gefragt hatte. Die Politik sei schuld an der Misere. Die Station müsste in Wirklichkeit wegen zu wenig Personal geschlossen werden. Es kommen einige BewerberInnen für den Pflegedienst. Die gehn aber wieder wegen der harten Arbeit und den vielen hauptsächlich totkranken alten Menschen. Ob ich mich beim Patientenanwalt beschweren werde, wollte sie wissen. Habe ich nicht gemacht.
November 2004. Wieder schwere Lungenentzündung, mit Husten bis zum Umfallen. Gehe zu einer Fachärztin. Die fragt wegen meiner miserablen Lungenfunktion und wegen Nichtrauchens nach meiner beruflichen Laufbahn. „Haben Sie da mit Asbst zu tun gehabt?”. „Ja”, sage ich.
„Gemäß Paragraf 363 Abs. 2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG) ist jede/r Arbeitgeber/in, jeder Arzt, jede Ärztin verpflichtet, eine Berufskrankheit (BK) oder den begründeten Verdacht einer BK an den zuständigen Unfallversicherungsträger zu melden”, steht in einer Broschüre der AUVA über Asbesterkrankung geschrieben. Frau Doktorin Susanne Grass macht, was sie tun muss und meldet mich bei der Unfallversicherungs Anstalt.
Teil II Jenseits von Gut und Böse
AUVA = Gleichgültigkeit, Ignoranz & Unfähigkeit: Für zigtausende Menschen bedeutet harte Arbeit: Berufskrankheit, Invalidität. In der Folge ein schweres Leben für die Betroffenen, und Angehörigen. Das lässt die gutversorgten Minderleister der Allgemeinen Unfallversicherungs Anstalt (AUVA) kalt. Ein am eigenen Leib erfahrener Report.
Eine Woche später klingelt das Telefon: „Guten Tag mein Name ist Gamsjäger von der AUVA, ich bin ab jetzt für sie zuständig. Ich habe ihren Akt erhalten und werde sie in nächster Zeit betreuen”. Na, geht ja flott dachte ich mir und weil Heiligen-Drei-König 2005 gerade vorbei war und mir Lunge und Atemwege große Probleme machten bewegte ich meinen geschundenen Kadaver zur Pensionsversicherungeanstalt der Arbeiter und Angestellten in die Wiener Leopoldstadt.
„Wir sind für sie nicht zuständig”, erklärte mir die Schalterdame nach dem sie mich von oben nach unten gemustert hatte. Mir war auf der Stelle klar, dass ich wiedereinmal ein Opfer meiner äußeren Erscheinung geworden bin. Lange Haare Bartträger um die 50 Jahre bedeutet im ungeschriebenen Handbuch, bei der „Institution” für Werktätigenpensionen Sandler und die gehören aufs Sozialamt. Meine schlechter Gesundheitszustand ließ nicht zu, dass ich gute Miene zum bösen Spiel machen wollte.
PVA und SVA, zweimal dasselbe, doch eine völlig andere Behandlung
„Also zuerst liebe Frau sagt man Guten Tag, dann fragt man die Wünsche des Klienten ab, und dann sollten sie machen, wofür wir Beitragsleister sie bezahlen. Wenns net arbeitn wollen, dann muß ich mich halt an eine KollegIn wenden. Ich bin hergekommen um einen Antrag auf Pension zu stellen und aus”. Ich könne mich ja schriftlich beschweren, wenn ich mit ihrer Vorgangsweise nicht zufrieden bin, aber sagen sie mir ihre Versicherungsnummer ich will mal sehen, was sich machen lässt. Nach dem Studium meiner Computerdaten huschte das erste Mal ein freudiges Lächeln über ihr vergrämtes Antlitz. „Wir sind nicht für sie zuständig. Im entscheidenden Zeitraum haben sie um zwei Monate mehr Versicherungsgrundlagen bei der Gewerblichen Wirtschaft. Die sind ab jetzt für sie die Anlaufstelle in ihrer Pensionsangelegenheit”, teilt mir eine sichtbar erleichterte Sachbearbeiterin der PVA mit.
Die Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft (SVA) ist quasi das Nachbarhaus meiner Wohnadresse und vereinfacht meine Anliegen enorm. Mein Antrag auf Pensionierung wird ruck zuck vom freundlichen und kompetenten Sachbearbeiter entgegengenommen. Bereits für Februar erhalte ich Termine für alle notwendigen Untersuchungen und Sachverständigen Gutachten. Zwei Tage dauert der Gesundheits- beziehungsweise Krankheitscheck. Lungenfunktionstest sehr ausführlich, leider mit schlechtem Ergebnis für mich. Kniegelenke ausgeleiert, obwohl schon seit 30 Jahren nicht mehr Fliesenleger. Kreuz, Augen und und und… Ende April 2005 bringt mir der Postler eine Empfangshinterlegung einer grösseren Geldsumme. Kein Hinweis auf den edlen „Spender” oder „Spenderin”. Am Postamt erfahre ich, dass die SVA für die Zahlung der Pension rückwirkend auf Jänner 2005 zuständig ist. Ein paar Tage später flattert mir der Pensionsbescheid ins Haus. Festgesetzt auf 817,- Euro brutto im Monat.
Resümee: Ein Lob an die Jungs und Mädls von Multifunktionär Christoph Leitl. Der Boss der Sozialversicherungeanstalt kann stolz auf „seine” MitarbeiterInnen sein. Die SVA hat sehr professionell ihre Arbeit geleistet. Auch in anderen Service- und Abwicklungsangelegenheiten sind die SVAler gut aufgestellt. Die MitarbeiterInnen sind motiviert, korrekt, freundlich und zuvorkommend.
So, und was ist mit der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt in meiner Causa. Von denen habe ich seit Anfang Jänner nichts mehr gehört oder gesehen. Nach dem raschen und unkomplizierten Verlauf meines Verfahrens bei der SVA hab ich mir gedacht, rufst wieder mal bei der AUVA an. „Guten Tag, kann ich mit Frau Gamsjäger sprechen”, mache ich Männchen. „Die gibt’s bei uns nicht”, ertönt eine männliche Stimme am anderen Ende der Leitung. „Na träum ich oder was, die ist doch für mich zuständig”, beharre ich auf eine Verbindung. „Da muss ich auf meine Liste schaun, wissen’s ich bin neu hier”, antwortet der Herr und sagt abschließend, da ham ma sie schon”.
Asbestvergiftung anerkannt, aber für die AUVA noch nicht krank genug
Meine zuständige Frau Gamsjäger hat von nichts eine Ahnung und faselt was von meiner Aktennummer. „Wie soll ich eine Aktennummer haben, wenn ich weder schriftlich noch mündlich was von euch gehört habe”. Ich schildere ihr unser Telefonat von Anfang des Jahres. „Aha, da war einmal was in dieser Richtung”, erinnert sie sich bezüglich des Asbestverdachtes.
Über die Vorgangsweise der AUVA sind wir unterschiedlicher Meinung. Frau Gamsjäger wollte sich melden, wenn sie meinen Akt gefunden hat. Ich hab auf eine Frist bestanden. „Na dann beschwern sie sich halt, aber schriftlich bitte”. Naja, das kenne ich inzwischen aus dem Kampf mit den Institutionen. Ich frag mich, warum viele Werktätige in Institutionen so scharf auf Beschwerdebriefe sind. Kann ja wohl nicht sein, dass sie damit auf ihren Stress und ihre „harte Arbeit” bei der Obrigkeit Aufmerksamkeit erregen wollen.
Die vereinbarte Frist von drei Tagen hat Frau Gamsjäger eingehalten. Sie hat sich auch entschuldigt, dass mein Akt irgendwo verloren gegangen ist und alles neu angelegt werden musste. „Jetzt läuft alles nach Plan, wurde mir versichert. Prompt kam für Karfreitag 2005 eine Einladung zur chefärtztlichen Untersuchung in die Webergasse in Wien Brigittenau. Im ehemaligen Unfallspital hat die chefärztlichen Abteilung viel Personal, aber wenig zu tun. In den vier Stunden an denen ich dort war, wurden höchstens eine Handvoll Klienten abgefertigt.
Der Chefarzt Franz Fohler hat sich weder für meine mitgebrachten Befunde noch für die Röntgenbilder interessiert. „Wieviel haben sie geraucht?“ Nichts“. „Lügen sie mich nicht an. So wie ihre Lungenfunktion ausschaut – mit 52 Jahren muss das einiges gewesen sein”, zetert er.
Wahrscheinlich ist er auch dem schon erwähnten „Sandlersyndrom” erlegen. Zum Abschluss teilt er mir seine ablehnende Haltung bezüglich einer Invaliditätsrente in Folge einer Berufserkrankung mit.
Ein gutes Monat später bekomme ich nocheinmal eine Vorladung für die chefärztliche Abteilung in der Webergasse. Haargenau dasselbe Programm und nach mehr als drei Stunden lande ich wieder bei Dr. Fohler. Ich weiss mein Akt war wieder „verschwunden”. Dr. Fohler kennt mich nicht mehr. Ich habe inzwischen Bürstenhaarschnitt und keinen Bart. Er hat mir diesesmal auch nix vom Rauchen und Anlügen erzählt. Der gute Mann war richtig verlegen als ich mich geoutet habe. Er hat dann nur mehr geantwortet, dass er sich in „einer” Sache nicht ganz sicher war. Ich hab ihm noch eins drübergebraten, wieso ich wegen „einer Sache” das volle Programm noch einmal machen musste.
Am 25. Oktober 2005 habe ich einen ablehnenden Bescheid der AUVA erhalten. Begründung in Kurzform: „Nach den Erhebungen, Befundungen der chefärztlichen Station besteht bei ihnen zwar eine asbestinduzierte pulmale Fibrose, diese führt aber noch nicht zu einer objektiv feststellbaren Leistungsminderung von Atmung und Kreislauf”.
Teil III Wacht auf Verdammte…
Über Sachverständnislosgutachten: Für zigtausende Menschen bedeutet harte Arbeit: Berufskrankheit, Invalidität. In der Folge ein schweres Leben für die Betroffenen und Angehörigen. In den meisten Fällen müssen die Berufserkrankten gegen die AUVA auch noch vor Gericht ziehen, um zu ihrem Recht zu gelangen.
Also bleibt mir nur der Rechtsweg, das Wiener Arbeits- und Sozialgericht. Lehnt die AUVA eine Leistungsverpflichtung gegen ihre Versicherungszahler ab, bleibt den Geschädigten nur der Weg vor das Gericht. Da brauchst Ruhe, Gelassenheit und vorallem einen Anwalt. Ich habe bei der Wiener Arbeiterkammer um Rechtsbeistand angefragt. Schließlich habe ich auch mehr als 30 Jahre „zwangsweise” in die AK eingezahlt. Mit Müh und Not einen Termin ergattert. In der Servicestelle in der Wiener Prinz Eugen Strasse eine Nummer gezogen. Als Nummer aufgerufen vom Sachbearbeiter Haider. „Den Prozeß werdens eh net verlieren und wenn, dann kommens nachher, dann werden wir sehen was sich machen lässt”, sagt besagter Sachbearbeiter und tschüss. Also musste ich einen alten Freund und Arbeitsrechtler namens Dr. Walter Silbermayr nötigen, meine Angelegenheit vor Gericht faktisch für Gottes Lohn im Sinne der „Sozialen Gerechtigkeit” zu vertreten. Jetzt frage ich mich wer überhaupt solche Möglichkeiten hat. Das Gros der Berufserkrankten sicherlich nicht. Und wie ist es, wenn man da auch noch fern ab in der Provinz wohnt.
Dr. Vetter verkauft ein „Grüß Gott” an die AUVA als Gutachten
Das Wiener Arbeits- und Sozialgericht hat rasch gehandelt. Dr. Norbert Vetter wurde von der Richterin als Sachverständiger eingesetzt, um ein Sachverständigengutachten in meinem Fall zu erstellen. Eigentlich wäre „Dr. Norbert Vetter, Facharzt für Lungenerkrankungen und Innere Medizin, Facharzt für Arbeits- und Betriebsmedizin, ständig beeideter gerichtlicher Sachverständiger und Primarius der Zweiten Internen Lungenabteilung des Pulmologischen Zentrums der Stadt Wien” (Zitat Homepage des Genannten), eine Koryphäe.
Auch seine beruflichen Leistungen sind sehenswert, vorallem das Kapitel Mitgliedschaften. Wieder die Homepage des Genannten: „Österr. Gesellschaft für Lungenerkrankungen und Tuberkulose, Österreichische Gesellschaft für Innere Medizin, Deutsche Ges. f. Lungenerkrankungen u. Tuberkulose, European and Austrian AIDS societies, American College of Chest Physicians”. Zwei Praxen hat Dr. Vetter auch. Eine für Kassenpatienten im Wiener „Arbeiterbezirk” Meidling und eine für Privatpatienten im Döblinger Villenviertel in Wien 19. Ich wurde am 4. Jänner 2006 um 15.30 Uhr in die Privatordination geladen.
„Grüß Gott, sie kommen wegen dem Sachverständigengutachten zu mir. Wurde bei ihnen schon eine Biopsie gemacht, wenn nicht, werden wir eine durchführen”, lautete die Begrüßung. „Nein” war meine Antwort und er solle mir erklären warum eine Biopsie notwendig ist. Dazu kam es nicht, denn der Doktor Vetter hat mich danach mit den Worten „Ich solle warten bis ich aufgerufen werde”, in sein Wartezimmer verbannt. Da war es nicht einmal 16 Uhr.
Zum allgemeinen Verständnis. Eine Biopsie ist ein narkotischer, operativer Eingriff an beiden Lungenflügeln. Diese Operation kann nur stationär in einem Spital, wie beispielsweise einem, welchen Herr Dr. Vetter vorsteht, durchgeführt werden.
Nach diesem Blitzkontakt musste ich sage und schreibe vier Stunden warten bis ich aufgerufen wurde. Liebe Leserinnen und Leser, damits nicht fad wird schildere ich meine Eindrücke in dem Wartezimmer der Privatordination eines „Gottes in Weiß”. Kommt ja nicht jeder oder jede dorthin. Das Wartezimmer ein prächtiger Salon in einer Bürgervilla. In der Mitte ein schwerer Billardtisch. Ja richtig, keine Halluzination. Alles edel, alles feinste Sahne würden die Piefkes sagen. Hohe Türen gepolstert, aber nicht gut schallisoliert.
„Tüdltüdldü…”, aus der Chefordination. Ich glaub, ich fall vom Polstersessel. Tönt doch glatt der Refrain der „Internationale” mobiltelefonmäßig an mein Ohr. Als gestandener Altlinker, hätt ich beinah die Faust der Linken geballt und mitgesungen. Die Internationale hab ich in dieser langen Wartezeit sehr oft gehört, genauso wie unnötiges und langweiliges Gelaber des Dr. Vetter mit seinen PrivatpatientInnen. „Investieren sie demnächst in Schallisolierung”, mein Rat an den Primar. Da würden sich die BesucherInnen ihrer Ordination freuen.
Nicht erfreut war auch eine über 60 Jahre alte Frau, deren Invaliditätsantrag schon das zweitemal abgeleht wurde und die ebenfalls sachverständigengutachtenmäßig anwesend war. Die schwergewichtige Dame aus Ehemalsjugoslawien schilderte mir ihren bürokratischen Leidensweg.
Die Sprechstundenhilfe lobte meine Geduld als ich um halb neun abends die Praxis verließ. Die Assistentin von Dr. Vetter klagte mir während des Radfahrens, sprich Ergometer, die Strapazen ihres langen Arbeitstages, der vor zwölf Stunden um 8 Uhr morgens begonnen hatte. Mit Dr. Vetter hatte ich seit meinem Blitzgespräch weder optisch noch akustisch persönlich zu tun.
Für die Noblesse in Döbling Augustinisches Stimmgewitter
Dr. Vetters Name ist mir, unverhofft an ungewohnter Stelle, wieder in die Quere gekommen. Meine Freunde vom Stimmgewitter Augustin haben zwei Mal für eine Weihnachtsfeier des Dr. Norbert Vetter in der Privatordination in Döbling gesungen. Ich war zwar nicht eingeladen, das war wohl nur der erlauchte Kreis seiner Privatpatienten. „Bezahlen” durfte ich eines der Feste in indirekter Weise. Dr. Norbert Vetter hat zwar nur „Grüß Gott” zu mir gesagt und sich in seinem „Sachverständigengutachten” wie er in der Begründung kundtat, dem Urteil der Anstalt (gemeint ist die AUVA, Anmerkung des Autors) angeschlossen. Hab zwar Asbest in der Lunge, bin aber nur ein durch schlechte Umwelt bedingter Chronisch Obstruktiver Lungenkranker (COPD engl. chronic obstructive lung disease). Die Rechnung für den „Sachverstand” des Dr. Vetter lag meinem Gutachten bei und bezifferte sich fast genau so hoch wie die Gage eines der Auftritte des Stimmgewitter Augustin. Warum der Ausflug zum Chor der Wiener Straßenzeitung? Weil ich an der Gründung des ersten boulevardischen Obdachlosenblattes nicht ganz unbeteiligt bin. Schließlich ist der AUGUSTIN aus dem UHUDLA heraus entstanden.
Der Prozeß wurde nicht geführt, weil mir mein Freund Dr. Walter Silbermayr davon abgeraten hat. Eine erfolgreiche Wendung zur Anerkennung als Berufserkrankung sei auf Grund des Sachverständigengutachtens für die Richterin unmöglich. Nebenbei wäre ich bei Prozeßverlust in der Causa quasi drei Jahre lang „gesperrt”.
Makaberer Weise berief sich der Sachverständigengutachter in seiner Ablehnung auf Befunde der AUVA. Dr. Fohler von der Wiener AUVA-Chefpartie, das ist der, der gesagt hat „Wieviel haben sie geraucht und lügen sie mich nicht an”, hatte damals wenige eigene Ermittlungen zu meiner Krankheit. Ich hatte ihm ein Sammelsurium von Diagnosen mitgenommen, aus denen sich der “Chefarzt“ seinen eigenen Reim machte. Darüber lest ihr in der nächsten Folge.
Zum nächsten Mal wäre es beinahe nicht gekommen. Als die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland im Gange war, hatte ich eine schwere Lungenentzündung. Kurz vor der Pause des Spiels Holland gegen Portugal am Sonntag den 25. Juni 2006 hatte ich nach einem schweren Hustenanfall beinahe meinen Geist aufgegeben. Meine Frau, die von Berufswegen als Therapeutin mit Behinderten zu tun hat, hatte mich „reanimiert”, wie es so schön heißt.
Teil IV Anstalt versorgt ihre Kinder
Das Hemd ist näher als der Rock: Für zigtausende Menschen bedeutet harte Arbeit: Berufskrankheit, Invalidität. In der Folge ein schweres Leben für Betroffene und Angehörige. Das kümmert die AUVA wenig. Für die Unvallversicherungsanstaltsbürokraten sind die Versicherten und deren Zwangsbeiträge nur das Mittel zum Selbstzweck.
„Die AUVA ist die soziale Unfallversicherung für rund 3 Millionen Erwerbstätige, 1,3 Millionen Schüler und Studenten, zahlreiche freiwillige Hilfsorganisationen und Lebensretter”, steht auf der Aufschlagseite der Allgemeinen Unvallversicherungsanstalt im Internet. Jahr für Jahr trudelt eine gigantische Geldsumme auf das Konto der Versicherer. Denn per Gesetz müssen Werktätige, Schüler und Studenten zwangsweise ihren Obulus an die AUVA löhnen.
Bei den Folgen von Berufserkrankungen ist die „soziale” Unfallversicherung eher knausrig, wenn ein „Schadensfall” eingetreten ist. Betroffene müssen meistens über Gericht ihr Recht einfordern. Neun von zehn KlägerInnen gegen die AUVA ziehen laut Angaben des Rechtsanwalts Dr. Walter Silbermayr vor Gericht den Kürzeren. Nur jeder zehnte Berufserkrankte bekommt finanzielle Unterstützung von der AUVA nach einem gewonnenen Rechtsstreit. Da sind die vielen Tausende, die durch die Arbeit krank werden und erst gar nichts unternehmen, selbstverständlich nicht mit eingerechnet.
„Ich hab als Automechaniker durch das „vuaschriftsmässige“ Ausblasen der Bremstrommeln Milliarden von Asbestfasern eingeatmet. Jetzt, wo meine Lunge restlos im Eimer ist, bin ich nach Aussage der Arbeiterkammer selber schuld. Na ja, Arbeiter sind halt in Österreich der allerletzte Dreck…”, schreibt ein Hilfesuchender in einem ORF Forum zum Thema Asbesterkrankung.
Sorgen hat auch der Obmann der AUVA vor drei Jahren kund getan. Der Unfallversicherungsanstalts-Boss Helmut Klomfar wandte sich mit einem Alarmruf an die Öffentlichkeit. Erstmals machte die AUVA 2005 ein Defizit von vier Millionen Euro. Zuvor hatte die blauschwarze Regierung unter Wolfgang Schüssel 100 Millionen aus dem Rücklagenfonds der Unfallversicherung für defizitäre Krankenkassen geplündert. Dieselbe Regierung hat durch die Entlastung der Firmenbesitzer der AUVA weiteren finanziellen Schaden zugefügt Für Lehrlinge und ältere Beschäftigte brauchen die Firmen keine Unfallversicherungsbeiträge zu zahlen.
Während die Zahl der Behandlungstage nach Arbeits- und Schülerunfällen in zehn Jahren um 51 Prozent zurückgegangen ist, stieg die von der AUVA an andere Krankenkassen zu zahlende Behandlungspauschale um 42 Prozent. Gleichzeitig erhält die AUVA mit ihren 4,5 Millionen Versicherten für die Behandlung von nicht Arbeitsunfällen in ihren sieben Unfallkrankenhäusern und vier Reha-Zentren pro Behandlung einen um 34,4 Prozent niedrigeren Kostenersatz als für andere Spitäler üblich. Die Bundesländer zahlen gar keine Zuschüsse an die Einrichtungen der Unfallversicherung. Vor drei Jahren berichtete der AUVA-Chef Klomfar auch, dass in den letzten zehn Jahren durch Präventivmaßnahmen die Zahl der Arbeitsunfälle um 18 Prozent gesunken ist.
Spielplatz für Multifunktionäre aus allen Gesellschaftsschichten
Soweit die Fakten. Jetzt zu den verschwiegenen Ursachen der AUVA Geldflüsse. Kostspielig ist die Selbstverwaltung und die Zentrale. Von den 5 000 AUVA Beschäftigten, sitzt mehr als ein Viertel in der Verwaltung. Wie alle Sozialversicherungsträger ist auch die AUVA nach dem Prinzip der Selbstverwaltung organisiert: Die Interessenvertretungen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsenden ihre Funktionäre in die Organe der Selbstverwaltung.
Diese Organe gibt es österreichweit in zehnfacher Ausgabe. Der Bund und die neun Bundesländer. In ihnen tummeln sich die Multifunktionäre der Wirtschafts-, Handels- und Arbeiterkammer, der Gewerkschaftsfraktionen im ÖGB und allen Krankenkassen.
Eine Heerschar von RechtsanwältInnen und SachbearbeiterInnen müssen die zigtausend Klagen gegen die AUVA abwickeln. Und dann gibt es noch eine Reihe von Institutionen und Gesundheitseinrichtungen die direkt oder indireckt mit der AUVA verbandelt oder mit Geld „gesponsert” werden. In dem Sumpf aus Freunderlwirtschaft aus der Politik und den „Interessensvertretungen” verflüchtigen sich die Zwangsbeiträge, denn die „Aufsichtsorgane” kommen aus selbigem Milieu.
Ein Jahr nach meiner Asbestkrankmeldung hatte ich ein langes Gespräch mit einer Vertreterin des BerufsBildungs und RehaZentrums von Wien Simmering BBRZ. Die wollten mich laufend betreuen und sie hatten meine Adresse von der AUVA. Ständig schickt mich die AUVA zu Computertomographischen Untersuchung ins Meidlinger Unfallkrankenhaus und in das Diagnosezentrum Urania in der Wiener Innenstadt. Die sind bestens ausgerüstet und modernst eingerichtet. Das letzte Mal haben sie mich achtmal durch die Röhre geschickt.
Alle verdienen reichlich durch meine Asbesterkrankung. Die AUVA brennt wie ein Luster an Beratungszentren und Diagnoseinstitute. Nur von einem Kuraufenthalt oder einer Berufsunfähigkeitsrente an mich, wollen sie nichts wissen. Nach vier Computertomographien hab ich dankend abgelehnt, und werde in Zukunft der AUVA sparen helfen. Ich nehme meine Verantwortung wahr und entziehe mich aus dem Kreislauf von chronischer Medikamentensucht und immer wiederkehrenden Untersuchungen mit kostenträchtigen medizinischen Hightech- Maschinen.
Ich hab für mich die sauteuerste private Gesundheitsvorsorge getroffen und bin nach Portugal ans Meer gezogen. Dort brauch ich keine Medikamente und teuren Apparate. Meine Frau und ich zahlen das alles ohne einen müden Cent aus Gesundheits- und Sozialsystem. Sauer bin ich nur, weil sich typisch österreichisch alle Instanzen aus ihrem Verantwortungsbereich verabschieden, indem sich die Minderleister erst einmal blöd stellen. Ihnen ist es auch egal wie eine Familie, sagen wir mit zwei Kindern, mit etwas mehr als der Mindestpension eines Asbesterkrankten leben soll. Nun gut: zum „Glück” habe ich keine Kinder und ich bin ein bescheidener und sparsamer Mensch.
Das Wohl der Berufserkrankten ist Zweck und Aufgabe der AUVA
Ich wiederhole aber noch einmal, daß sich die AUVA nicht, wie deren Chefarzt Fohler betonte „für viel Geld um meine Gesundheit kümmern” sollte. Nach zwei, drei Tagen Wien Aufenthalt, weiß ich eh wie es um meine Lunge und Atemwege bestellt ist. Ich kann mich aus Eigeninitiative über Luft und (Meer)wasser halten. Aber die Machatscheks von der „Sozialen Unfallversicherung” sollten wenigstens ihre Verantwortung ernst nehmen. Die kapitalistische Ausbeutung fordert immer mehr Opfer und die Arbeit macht krank, oft sogar todkrank. Und keine oder keiner zahlt „freiwillig” in die soziale Unvallversicherung ein. Die AUVA wurde nicht zum Selbstzweck geschaffen. Es ist nicht ihre Aufgabe sich selbst und ihre Freunderl aus diversen Gesundheits-, Beratungs-, Rechtsanwalts- und Behandlungszentren zu versorgen.
Nun mögen die Leserinnen und Leser nachsichtig sein über meine persönlichen Befindlichkeiten in dieser Artikelserie. Das ist normalerweise nicht meine journalistische Art Probleme aufzuzeigen. Allerdings erschien es mir als notwendig, diese Stilart zu wählen, weil mein „Fall” in Österreich tausendfach aktuell ist. Aber wie es „krankgearbeiteten” Menschen ergeht und mit welchen Schwierigkeiten sich die Betroffenen herumschlagen müssen, spielt in der alpenländischen Medienberichterstattung so gut wie keine Rolle.
Als Trost für uns rotweißrot Republikaner will ich anmerken, daß das österreichische Gesundheitswesen, trotz Ungereimtheiten noch immer sehr gut organisiert ist. Es funktioniert zufriedenstellend und sollte wenigstens auf diesem Label auch in Zukunft funktionieren. Über das Gesundheitssystem meines Gastlandes Portugal könnte ich keine Serie schreiben. Einfacher Grund: es gibt praktisch keines.
aus: Uhudla Nummer 87-90 (2008-2009)