Streifzüge 44/2008
von Andreas Exner und Christian Lauk
Bis zur Jahreshälfte 2008 stiegen die Preise für Energie, Rohstoffe und Lebensmittel drastisch. Inzwischen geht die Teuerung zwar zurück, doch werden sich die Ressourcen auch in einer Rezession weiter verknappen.
Seit einem Tiefstand 1998 stiegen die Erdölpreise kontinuierlich. Bis 2007 hielt man diesen Trend zumeist für eine kurzfristige Marktverzerrung. Spätestens jedoch, als der Ölpreis im Jänner 2008 die magische Marke von 100 US-Dollar pro Barrel überschritt, begannen die Alarmglocken zu läuten. Die Preisralley setzte sich bis zum bisherigen Höchststand von 147 US-Dollar pro Barrel im Juli fort. Inzwischen ist die Ölnachfrage und damit der Ölpreis wieder deutlich gesunken. Das Grundproblem bleibt aber auf der Tagesordnung. Sobald die Nachfrage wieder anzieht, ist erneut mit einem Preisanstieg zu rechnen.
Oberflächlich betrachtet ergibt sich der Ölpreis aus dem Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Steigt die Nachfrage und hält das Angebot nicht Schritt, so ist ein Preisanstieg die Folge. Tatsächlich wuchs die Ölnachfrage in den letzten Jahre deutlich und überflügelte das Angebot. Was hinter der Angebotsentwicklung steckt, ist aber nicht ganz leicht zu eruieren. Dementsprechend wurde die Erdölteuerung höchst widersprüchlich debattiert. Während manche die Marktmacht der OPEC im Zentrum sahen, betonten andere die Rolle der Spekulation, der Ölkonzerne oder des Kriegs im Irak.
Studien weisen allerdings darauf hin, dass hohe Erdölpreise bereits Peak Oil widerspiegeln könnten, den Höhepunkt der Erdölförderung. Dieser Punkt markiert den Gipfel einer Glockenkurve. Sie beschreibt den Zeitverlauf der Förderung von einzelnen Ölfeldern, von ölproduzierenden Ländern, aber auch der Weltölförderung. Die Energy Watch Group datiert Peak Oil auf das Jahr 2006, andere rechnen damit in naher Zukunft.
Tatsächlich bringt nicht erst der letzte Tropfen Erdöl die Krise. Sie beginnt weit früher: dann nämlich, wenn die Förderung aus geologischen Gründen zurückgeht und weder eine wachsende noch die bestehende Nachfrage mehr decken kann. Die Förderung nimmt nach dem globalen Peak der Ölproduktion mit einer Rate von mindestens einem Prozent jährlich, vielleicht aber auch weitaus schneller ab.
Inzwischen weist auch die Internationale Energieagentur auf die kommende „Versorgungskrise“ hin. Sogar der EU-Energiekommissar Andris Piebalgs warnte bereits vor Peak Oil. Dieser ist allerdings nur ein Teilproblem. So prognostiziert die Energy Watch Group den globalen Peak bei Erdgas und Kohle für 2025. Bei Erdgas dürfte der entscheidende regionale Peak für Europa früher eintreten. Jedenfalls werden auch die anderen fossilen Stoffe teurer, wenn sich die Nachfrage vom Erdöl auf sie verschiebt. Umso mehr, als der Aufwand für die Erdöl- und die Kohle-Förderung zunimmt.
Die fossilen Stoffe decken rund 80 Prozent des weltweiten Energiebedarfs. Dagegen bildet den Löwenanteil der „Erneuerbaren“, die in den übrigen 20 Prozent enthalten sind, die traditionelle Brennholznutzung im globalen Süden. Erdöl und Erdgas sind aber nicht nur Energieträger. Sie sind zudem die zentralen Ausgangsmaterialien der Chemie. Kunststoffe, Arznei- und Pflanzenschutzmittel werden auf Erdölbasis produziert, und die Herstellung von Stickstoffdünger ist auf Erdgas (oder Kohle) angewiesen.
Es gibt also mittelfristig auch ein Stoffproblem. Allein der Bedarf an Kunststoffen für Textilien zum Beispiel ist enorm. Will man ihn mit Baum- oder Schafwolle oder Hanf decken, so schränkt das die Flächen für die Ernährung weiter ein. Umso mehr, wenn der Klimawandel zu Produktionseinbußen führt und nach Peak Gas der Stickstoffdünger knapp wird.
Das Übergangsproblem
Wachstum des Kapitals heißt Wachstum des Energie- und Stoffverbrauchs. Denn abgesehen von Kurssteigerungen bei Wertpapieren unterliegt der Kapitalverwertung immer auch ein Stoff- und Energieverbrauch. Das ist ökologisch höchst problematisch, doch bleibt der Wachstumskonsens davon weitgehend unberührt, auch in der Ökoszene. Dahinter steckt nicht allein Bornierung, sondern durchaus ein Faktum: Ein „ökologischer“ Umbau des Kapitalismus ist nur möglich, wenn es Profit und Wachstum gibt.
Diese Sicht freilich impliziert, dass das Kapital von selbst auf die „Erneuerbaren“ switcht, wenn die Preise der „Fossilen“ steigen. Demgegenüber wird nun aber sichtbar, dass mit steigenden Energiepreisen alle Preise steigen. Dies umso mehr, als neben den Erdölpreisen in den letzten Jahren auch die Metallpreise gestiegen sind. Denn einerseits gehen steigende Energiepreise in die Kosten der Förderung, der Verarbeitung und des Transports von Metallen ein. Andererseits aber sind die leicht ausbeutbaren Lagerstätten zusehends ausgeschöpft und die Produktion lässt sich nicht mit beliebiger Geschwindigkeit ausdehnen. Davon abgesehen sinkt die Arbeitsproduktivität in der Metallgewinnung tendenziell und die Preise steigen deshalb letztlich in jedem Fall. Die „Erneuerbaren“ werden also nicht von selber attraktiv, und in einer Rezession verschwinden auch die investiven Mittel für den „ökologischen“ Umbau.
Tatsächlich benötigt der Aufbau erneuerbarer Energiesysteme nicht nur Energie, sondern auch Metalle – und das in großen Mengen. So verwundert nicht, dass Hermann Albers, Präsident des Bundesverbands Windkraft in Deutschland, die hohen Metallpreise dafür verantwortlich macht, dass die Neuinstallation von Windkraftanlagen 2007 deutlich zurückging. Auch der Ausbau der Solarenergie wird durch diesen Trend gehemmt.
Erneuerbare Energiesysteme brauchen materielle und energetische Inputs. Bis auf Weiteres hängen deshalb auch die erneuerbaren Systeme von fossilen Energien ab. Die Grenzen der metallischen Ressourcen schließlich sind von Windparks und Solaranlagen grundsätzlich nicht zu überwinden. Nicht-erneuerbare Ressourcen sind für sie unersetzlich.
Solche Beschränkungen haben großes Gewicht. Nicht zuletzt deshalb, weil die gesamte Distribution und Nutzung der Energie an die fossilen Energien angepasst ist: ob Pipelines, Öltanker, alle möglichen Motoren oder Heizungen. Nicht nur ein Umbau der Energieversorgung ist nötig, sondern auch ein gewaltiger Umbau der gesamten Technologie und Infrastruktur. Und auch diesen ermöglichen nur Profite und die Erwartung von Profiten – eine Beschränkung, der auch die Staatsausgaben unterliegen.
Außer dem Nadelöhr der Verwertung gibt es noch ein stoffliches Übergangsproblem auf dem Weg in eine erneuerbare Zukunft: Werden zu wenige fossile Ressourcen in zu langer Frist für den Aufbau erneuerbarer Stoff- und Energiesysteme investiert, so reichen ab einem gewissen Punkt die fossilen Ressourcen nicht mehr aus, um auch nur annähernd soviel Energie und Stoffe zu produzieren wie heute. Umgekehrt intensiviert sich die Verknappung und das Wachstum verlangsamt sich, wenn man in zu kurzer Zeit zu viele fossile (und metallische) Ressourcen in den Ökoumbau lenkt. Im Extremfall würde man damit beginnen, auf breiter Front erneuerbare Systeme zu installieren, nur um auf halbem Wege zu erkennen, dass die erschöpflichen Ressourcen, die man für die Fertigstellung braucht, nicht reichen.
Vom Akkumulations- zum Entwertungsregime
Steigt der Wert der fossilen (und metallischen) Inputs, weil die Förderung immer aufwändiger wird und geringere Erträge bringt, so verändert das den Kapitalwert. Der Wert der Produktionsmittel vergrößert sich, Ausrüstungsgüter für die extrem kapital- und zunehmend energieintensive Erdölförderung mit inbegriffen. Aber auch der Wert der Ware Arbeitskraft vergrößert sich, wenn der warenförmige Lebensstandard konstant bleiben soll. Denn die Arbeitsproduktivität geht zurück.
Allgemein gesprochen verlängert sich jene Arbeitszeit, die eine Gesellschaft aufwenden muss, um all das herzustellen, was die Lohnabhängigen konsumieren. Dieser Teil der Arbeitszeit stellt die Reproduktion der Arbeitskräfte sicher. Umgekehrt verkürzt sich daher die unbezahlte Arbeitszeit, die sich letztlich im Profit ausdrückt.
Dieser Umstand hat weitreichende Konsequenzen. Konzentrieren wir uns dabei auf die Profitrate, d. h. das Verhältnis von Geldgewinn zu Kapitalvorschuss. Die Profitrate ist die zentrale Steuerungsgröße der Kapitalakkumulation. Sie bestimmt die Nachfrage nach Krediten, die der Erweiterung der Produktion dienen, entscheidet aber auch über die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens. Die Größe des Geldrückflusses, aus dem das Unternehmen seine Kredite finanziert, hängt ebenfalls von der Profitrate ab.
Die Profitrate ist eine Geldgröße. Sie liest der Kapitalist in den Bilanzen ab. Werttheoretisch betrachtet wirkt auf diese Rate das Verhältnis mehrerer Faktoren ein, die empirisch nicht in Erscheinung treten, die Bewegung der Profitrate jedoch kausal bestimmen: das Verhältnis des Mehrwerts m zu den Wertmengen, die für Arbeitskräfte (variables Kapital v) sowie für Maschinen, Rohstoffe, Energie etc. (konstantes Kapital c) vorgeschossen werden müssen, um einen Produktionszyklus starten zu können.
Der Wert der Produktionsmittel – das konstante Kapital c – geht unverändert in den Produktwert ein. Das variable Kapital hingegen setzt den Produkten mehr Wert zu, als es selber verkörpert, weil die Arbeitskraft mehr Wert produziert, als sie selber hat (und als Lohn vergütet bekommt).
Der kapitalistische Arbeitstag teilt sich daher in einen bezahlten und einen unbezahlten Teil. Mehrwert (m) wird, gesamtgesellschaftlich gesehen, durch unbezahlte Arbeitszeit gebildet. Bleiben die Länge des Arbeitstags und die Intensität der Arbeit gleich, so schrumpft der Mehrwert, wenn sich die bezahlte Arbeitszeit, die dazu dient, die Arbeitskraft zu reproduzieren, ausdehnt. Das ist die erste Konsequenz einer Wertsteigerung bzw. Verteuerung von Energie und Rohstoffen.
Die zweite ist, dass sich der Kapitalvorschuss (c + v) vergrößert. Wird mehr lebendige Arbeit (v) und tote Arbeit (c) benötigt, um z. B. Erdöl zu produzieren, so steigt dessen Wert; damit aber auch der Wert aller Produktions- und Konsummittel, in die das Erdöl direkt oder indirekt eingeht. Dasselbe gilt auch für andere Energieträger oder Rohstoffe, wenn sie aufwändiger gewonnen werden müssen; und es gilt umso mehr, wenn der Mengenertrag zugleich zurückgeht. Sinkt bei steigendem Wert des Kapitalvorschusses der Mehrwert, so fällt die Rate des Profits, die das Verhältnis m / (c + v) ausdrückt.
Sinkender Mehrwert könnte durch sinkenden Wert des konstanten Kapitals, also der Maschinen, Energie und Rohstoffe wettgemacht werden, was unter den Bedingungen der Ressourcenkrise ausgeschlossen ist. Selbst wenn das variable Kapital (v) gleich bleibt, der warenförmige Lebensstandard also sinkt, so würde sich ein steigender Wert von Energie und Rohstoffen in größerem Wert von c niederschlagen. Der Mehrwert bleibt dann unangetastet, und doch fällt die Rate des Profits.
Das einzige Gegenmittel wären längere Arbeitszeiten, intensivierte Arbeit und eine starke Absenkung des Lebensstandards durch Reduktion von v – einzeln oder in Kombination. Der Mehrwert (m) würde steigen, aber auch das relative Gewicht von (c), weil v abnimmt. Also müsste m schneller steigen als c. Ansonsten fällt auch unter diesen Annahmen die Rate des Profits.
Freilich riskiert eine solche Akkumulationsstrategie, die nicht die Produktivität vorantreibt und damit den Reallohn steigert, sondern stattdessen den Arbeitstag verlängert und den Konsum reduziert, in Hinblick auf soziale Kämpfe ihren Kopf. Vor allem aber kann sie das fossil betriebene Kapital nicht in existierendem Umfang verwerten: Raffinerien stehen still, Transportmittel bleiben in den Garagen und die Auslastung von Fabriken sinkt, wenn sich die fossilen Ressourcen verknappen.
Diese ökologische Krise des Kapitals bereitet nicht mehr wie bisherige Krisen den Boden eines neuen langen Schubs der Akkumulation. Anders als bei Kapitalkrisen üblich, vernichtet sie nicht allein den Wert, sondern auch den Gebrauchswert der betroffenen Kapitalien. Während in einer herkömmlichen Krise Unternehmen bankrottieren, die dann billig gekauft werden können, so kann ein Teil der vernichteten Kapitalien in der ökologischen Kapitalkrise nicht mehr für eine erneute Verwertung in Gebrauch genommen werden. Selbst wenn es regional oder sektoral zu einem neuen Aufschwung kommt, so begrenzen ihn die Peaks. Und er findet auf geringerem Niveau des Outputs statt.
An die Stelle eines neuen Regimes der Akkumulation tritt damit ein globales Regime der Entwertung. Vom Standpunkt des Kapitals aus wäre dabei der beste mögliche Fall eine „Akkumulation auf dem Rückzug“, die von metropolitanen Bastionen aus die übrige Welt für den Wechsel der Ressourcenbasis in Form eines Erdöl- und Biomasseimperialismus funktionalisiert. Gesellschaftlicher Widerstand muss das verhindern.